Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 39)

einige Worte von der Sprache des Neffen sich merken sollen, daraus hätte man dann leicht erfahren, was für ein Landeskind er und der Onkel wäre.

Der Torschreiber versicherte aber, daß es weder Französisch noch Italienisch sei, wohl aber habe es so breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe der junge Herr gesagt: »God damn!«

So half der Torschreiber sich selbst aus der Not und dem jungen Mann zu einem Namen, denn man sprach jetzt nur von dem jungen Engländer im Städtchen. Aber auch der junge Engländer wurde nicht sichtbar; weder auf der Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere Weise viel zu schaffen. Es begab sich nämlich oft, daß in dem sonst so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Lärm ausging, daß die Leute haufenweise vor dem Hause stehenblieben und hinaufsahen. Man sah den jungen Engländer, angetan mit einem roten Frack und grünen Beinkleidern, mit struppigem Haar und schrecklicher Miene, unglaublich schnell an den Fenstern hin und her durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft; aber einige Male kam es doch der Menge auf der Straße vor, als müsse er den Jungen erreicht haben, denn man hörte klägliche Angsttöne und klatschende Peitschenhiebe die Menge.

An dieser grausamen Behandlung des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Städtchens so lebhaften Anteil, daß sie endlich den Bürgermeister bewogen, einen Schritt in der Sache zu tun. Er schrieb dem fremden Herrn ein Billett, worin er ihm die unglimpfliche Behandlung seines Neffen in ziemlich derben Ausdrücken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen Schutz zu nehmen.

Wer war aber mehr erstaunt als der Bürgermeister, wie er den Fremden selbst – zum erstenmal seit zehn Jahren – bei sich eintreten sah! Der alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der Eltern des Jünglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei sonst ein kluger, anstelliger Junge, äußerte er, aber die Sprachen erlerne er sehr schwer. Er wünsche so sehnlich, seinem Neffen das Deutsche recht geläufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu nehmen, ihn in die Gesellschaften von Grünwiesel einzuführen, und dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, daß man oft nichts Besseres tun könne, als ihn gehörig durchzupeitschen.

Der Bürgermeister fand sich durch diese Mitteilung völlig befriedigt, riet dem Alten zur Mäßigung und erzählte abends im Bierkeller, daß er selten ­einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden. »Es ist nur schade«, setzte er hinzu, »daß er so wenig in Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe erst ein wenig Deutsch spricht, besucht er meine Cercles öfter.«

Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Städtchens völlig umgeändert. Man hielt den Fremden für einen artigen Mann, sehnte sich nach seiner näheren Bekanntschaft und fand es ganz in der Ordnung, wenn hie und da in dem öden Hause ein gräßliches Geschrei aufging. »Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen

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