Ungekürztes Werk "Der Scheich von Alexandria und seine Sklaven" von Wilhelm Hauff (Seite 47)
der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darüber zu sagen. Die vornehme Dame aber mußte auf dem ganz gemeinen Strohsessel mitten unter den übrigen Frauen des Städtchens sitzen und soll sich nicht wenig geärgert haben.
Während des herrlichen Spieles des Bürgermeisters, während des Organisten trefflicher Baßarie, ja sogar während der Doktor auf dem Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, ließ der Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut mit seinen Nachbarn, so daß jedermann, der ihn nicht kannte, sich über die absonderlichen Sitten des jungen Herrn wunderte.
Kein Wunder daher, daß alles sehr begierig war, wie er sein Duett vortragen würde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Bürgermeister mit seiner Tochter zu dem jungen Mann, überreichte ihm ein Notenblatt und sprach: »Mosjöh, wäre es Ihnen jetzt gefällig, das Duetto zu singen?«
Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zähnen, sprang auf, und die beiden anderen folgten ihm an das Notenpult, und die ganze Gesellschaft war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und winkte dem Neffen anzufangen. Dieser schaute durch seine großen Brillengläser in die Noten und stieß greuliche, jämmerliche Töne aus.
Der Organist aber schrie ihm zu: »Zwei Töne tiefer, Wertester; C müssen Sie singen, C!«
Statt aber C zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf ihn dem Organisten an den Kopf, daß der Puder weit umherflog.
Als dies der Bürgermeister sah, dachte er: Ha, jetzt hat er wieder seine körperlichen Zufälle, sprang hinzu, packte ihn am Hals und band ihm das Tuch etwas leichter. Aber dadurch wurde es nur noch schlimmer mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr deutsch, sondern eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte große Sprünge.
Der Bürgermeister war in Verzweiflung über diese Störung; er faßte daher den Entschluß, dem jungen Mann, dem etwas ganz besonderes zugestoßen sein mußte, das Halstuch vollends abzulösen. Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor Schrecken wie erstarrt stehen. Denn statt menschlicher Haut und Farbe umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und alsobald setze derselbe auch seine Sprünge noch höher und sonderbarer fort, fuhr sich mit den glacierten Handschuhen in die Haare, zog diese ab, und – o Wunder! – diese schönen Haare waren eine Perücke, die er dem Bürgermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen.
Er setzte über Tische und Bänke, warf die Notenpulte um, zertrat Geigen und Klarinetten und erschien wie ein Rasender. »Fangt ihn! Fangt ihn!« rief der Bürgermeister ganz außer sich. »Er ist von Sinnen; fangt ihn!«
Das war aber eine schwierige Sache, denn er hatte die Handschuhe abgezogen und zeigte Nägel an den Händen, mit welchen er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte. Endlich gelang es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden. Er preßte ihm die langen Arme zusammen, daß er nur noch mit den Füßen zappelte und mit heiserer Stimme lachte und schrie.
Die Leute