Ungekürztes Werk "Die Karawane" von Wilhelm Hauff (Seite 21)

den mir einst mein Vater geschenkt hatte.

Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und kam bald auf den Ponte Vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und öde und beschloß zu warten, bis er erscheinen würde, der mich rief. Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich richtete mich auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel gehüllt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt.

Ich war anfangs etwas erschrocken, weil er so plötzlich vor mir stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: »Wenn Ihr mich habt hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?«

Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: »Folge!«

Da ward mir's doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu gehen; ich blieb stehen und sprach: »Nicht also, lieber Herr; wollet mir vorerst sagen, wohin? Auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt.«

Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. »Wenn du nicht willst, Zaleukos, so bleibe!« antwortete er und ging weiter. Da entbrannte mein Zorn. »Meint Ihr«, rief ich aus, »ein Mann wie ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser kalten Nacht umsonst gewartet haben?«

In drei Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in der Hand, und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden. Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen Abenteuer geben. Ich hing ihn um und ging wieder nach Hause.

Als ich kaum noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an mir vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache: »Nehmet Euch in acht, Graf; heute Nacht ist nichts zu machen!« Ehe ich mich aber umsehen konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und nicht mich anging, sah ich ein, doch gab er mir kein Licht über die Sache.

Am andern Morgen überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von Anfang an gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn gefunden – doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz verbrämt und reich mit Gold bestickt.

Der Anblick des prachtvollen Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß. Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach

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