Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 14)

Caput XII

Wie sie schwärmen, die Poeten,

Selbst die zahmen! und sie singen

Und sie sagen: die Natur

Sei ein großer Tempel Gottes;

Sei ein Tempel, dessen Prächte

Von dem Ruhm des Schöpfers zeugten,

Sonne, Mond und Sterne hingen

Dort als Lampen in der Kuppel.

Immerhin, Ihr guten Leute!

Doch gesteht, in diesem Tempel

Sind die Treppen unbequem –

Niederträchtig schlechte Treppen!

Dieses Ab- und Niedersteigen,

Bergaufklimmen und das Springen

Über Blöcke, es ermüdet

Meine Seel und meine Beine.

Neben mir schritt der Laskaro,

Blaß und lang, wie eine Kerze;

Niemals spricht er, niemals lacht er,

Er, der tote Sohn der Hexe.

Ja, es heißt, er sei ein Toter,

Längstverstorben, doch der Mutter,

Der Uraka, Zauberkünste

Hielten scheinbar ihn am Leben. –

Die verwünschten Tempeltreppen!

Daß ich stolpernd in den Abgrund

Nicht den Hals gebrochen mehrmals,

Ist mir heut noch unbegreiflich.

Wie die Wasserstürze kreischten!

Wie der Wind die Tannen peitschte,

Daß sie heulten! Plötzlich platzten

Auch die Wolken – schlechtes Wetter!

In der kleinen Fischerhütte,

An dem Lac-de-Gobe fanden

Wir ein Obdach und Forellen;

Diese aber schmeckten köstlich.

In dem Polsterstuhle lehnte,

Krank und grau, der alte Fährmann.

Seine beiden schönen Nichten,

Gleich zwei Engeln, pflegten seiner.

Dicke Engel, etwas flämisch,

Wie entsprungen aus dem Rahmen

Eines Rubens: goldne Locken,

Kerngesunde, klare Augen,

Grübchen in Zinnoberwangen,

Drin die Schalkheit heimlich kichert,

Und die Glieder stark und üppig,

Lust und Furcht zugleich erregend.

Hübsche, herzliche Geschöpfe,

Die sich köstlich disputierten:

Welcher Trank dem siechen Oheim

Wohl am besten munden würde?

Reicht die Eine ihm die Schale

Mit gekochten Lindenblüten,

Dringt die Andre auf ihn ein

Mit Holunderblumen-Aufguß.

»Keins von beiden will ich saufen«, –

Rief der Alte ungeduldig –

»Holt mir Wein, daß ich den Gästen

Einen bessern Trunk kredenze!«

Ob es wirklich Wein gewesen,

Was ich trank am Lac-de-Gobe,

Weiß ich nicht. In Braunschweig hätt ich

Wohl geglaubt, es wäre Mumme.

Von dem besten schwarzen Bocksfell

War der Schlauch; er stank vorzüglich.

Doch der Alte trank so freudig,

Und er ward gesund und heiter.

Er erzählte uns die Taten

Der Banditen und der Schmuggler,

Die da hausen, frei und frank,

In den Pyrenäenwäldern.

Auch von älteren Geschichten

Wußt er viele, unter andern

Auch die Kämpfe der Giganten

Mit den Bären in der Vorzeit.

Ja, die Riesen und die Bären

Stritten weiland um die Herrschaft

Dieser Berge, dieser Täler,

Eh die Menschen eingewandert.

Bei der Menschen Ankunft flohen

Aus dem Lande fort die Riesen,

Wie verblüfft; denn wenig Hirn

Steckt in solchen großen Köpfen.

Auch behauptet man: die Tölpel,

Als sie an das Meer gelangten

Und gesehn, wie sich der Himmel

In der blauen Flut gespiegelt,

Hätten sie geglaubt, das Meer

Sei der Himmel, und sie stürzten

Sich hinein mit Gottvertrauen;

Seien sämtlich dort ersoffen.

Was die Bären anbeträfe,

So vertilge jetzt der Mensch

Sie allmählich, jährlich schwände

Ihre Zahl in dem Gebirge.

»So macht Einer« – sprach der Alte –

»Platz dem Andern auf der Erde.

Nach dem Untergang der Menschen

Kommt die Herrschaft an die Zwerge,

An die winzig klugen Leutchen,

Die im Schoß der Berge hausen,

In des Reichtums goldnen Schachten,

Emsig klaubend, emsig sammelnd.

Wie sie lauern aus den Löchern,

Mit den pfiffig kleinen Köpfchen,

Sah ich selber oft im Mondschein,

Und mir graute vor der Zukunft!

Vor der Geldmacht jener Knirpse!

Ach, ich fürchte, unsre Enkel

Werden sich wie dumme Riesen

In den Wasserhimmel flüchten!«

Seiten