Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 22)

Caput XX

Sonnenaufgang. Goldne Pfeile

Schießen nach den weißen Nebeln,

Die sich röten, wie verwundet,

Und in Glanz und Licht zerrinnen.

Endlich ist der Sieg erfochten,

Und der Tag, der Triumphator,

Tritt, in strahlend voller Glorie,

Auf den Nacken des Gebirges.

Der Gevögel laute Sippschaft

Zwitschert in verborgnen Nestern,

Und ein Kräuterduft erhebt sich,

Wie’n Konzert von Wohlgerüchen. –

In der ersten Morgenfrühe

Waren wir ins Tal gestiegen,

Und derweilen der Laskaro

Seines Bären Spur verfolgte,

Suchte ich die Zeit zu töten

Mit Gedanken. Doch das Denken

Machte mich am Ende müde

Und sogar ein bißchen traurig.

Endlich müd und traurig sank ich

Nieder auf die weiche Moosbank,

Unter jener großen Esche,

Wo die kleine Quelle floß,

Die mit wunderlichem Plätschern

Also wunderlich betörte

Mein Gemüt, daß die Gedanken

Und das Denken mir vergingen.

Es ergriff mich wilde Sehnsucht

Wie nach Traum und Tod und Wahnsinn,

Und nach jenen Reiterinnen,

Die ich sah im Geisterheerzug.

O, Ihr holden Nachtgesichte,

Die das Morgenrot verscheuchte,

Sagt, wohin seid Ihr entflohen?

Sagt, wo hauset Ihr am Tage?

Unter alten Tempeltrümmern,

Irgendwo in der Romagna,

(Also heißt es) birgt Diana

Sich vor Christi Tagesherrschaft.

Nur in mitternächtgem Dunkel

Wagt sie es hervorzutreten,

Und sie freut sich dann des Weidwerks

Mit den heidnischen Gespielen.

Auch die schöne Fee Abunde

Fürchtet sich vor Nazarenern,

Und den Tag hindurch verweilt sie

In dem sichern Avalun.

Dieses Eiland liegt verborgen

Ferne, in dem stillen Meere

Der Romantik, nur erreichbar

Auf des Fabelrosses Flügeln.

Niemals ankert dort die Sorge,

Niemals landet dort ein Dampfschiff

Mit neugierigen Philistern,

Tabakspfeifen in den Mäulern.

Niemals dringt dorthin das blöde

Dumpflangweilge Glockenläuten,

Jene trüben Bumm-Bamm-Klänge,

Die den Feen so verhaßt.

Dort in ungestörtem Frohsinn,

Und in ewger Jugend blühend,

Residiert die heitre Dame,

Unsre blonde Frau Abunde.

Lachend geht sie dort spazieren

Unter hohen Sonnenblumen,

Mit dem kosenden Gefolge

Weltentrückter Paladine.

Aber du, Herodias,

Sag, wo bist du? – Ach, ich weiß es,

Du bist tot und liegst begraben

Bei der Stadt Jeruscholayim!

Starren Leichenschlaf am Tage

Schläfst du in dem Marmorsarge;

Doch um Mitternacht erweckt dich

Peitschenknall, Hallo und Hussa!

Und du folgst dem wilden Heerzug

Mit Dianen und Abunden,

Mit den heitern Jagdgenossen,

Denen Kreuz und Qual verhaßt ist!

Welche köstliche Gesellschaft!

Könnt ich nächtlich mit Euch jagen

Durch die Wälder! Dir zur Seite

Ritt ich stets, Herodias!

Denn ich liebe dich am meisten!

Mehr als jene Griechengöttin,

Mehr als jene Fee des Nordens,

Lieb ich dich, du tote Jüdin!

Ja, ich liebe dich! Ich merk es

An dem Zittern meiner Seele.

Liebe mich und sei mein Liebchen,

Schönes Weib, Herodias!

Liebe mich und sei mein Liebchen!

Schleudre fort den blutgen Dummkopf

Samt der Schüssel, und genieße

Schmackhaft bessere Gerichte.

Bin so recht der rechte Ritter,

Den du brauchst – Mich kümmerts wenig,

Daß du tot und gar verdammt bist –

Habe keine Vorurteile –

Haperts doch mit meiner eignen

Seligkeit, und ob ich selber

Noch dem Leben angehöre,

Daran zweifle ich zuweilen!

Nimm mich an als deinen Ritter,

Deinen Cavalièr-servente;

Werde deinen Mantel tragen

Und auch alle deine Launen.

Jede Nacht, an deiner Seite,

Reit ich mit dem wilden Heere,

Und wir kosen und wir lachen

Über meine tollen Reden.

Werde dir die Zeit verkürzen

In der Nacht – Jedoch am Tage

Schwindet jede Lust, und weinend

Sitz ich dann auf deinem Grabe.

Ja, am Tage sitz ich weinend

Auf dem Schutt der Königsgrüfte,

Auf dem Grabe der Geliebten,

Bei der Stadt Jeruscholayim.

Alte Juden, die vorbeigehn,

Glauben dann gewiß, ich traure

Ob dem Untergang des Tempels

Und der Stadt Jeruscholayim.

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