Ungekürztes Werk "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum" von Heinrich Heine (Seite 6)

Caput IV

Ronceval, du edles Tal!

Wenn ich deinen Namen höre,

Bebt und duftet mir im Herzen

Die verschollne blaue Blume!

Glänzend steigt empor die Traumwelt,

Die jahrtausendlich versunken,

Und die großen Geisteraugen

Schaun mich an, daß ich erschrecke!

Und es klirrt und tost! Es kämpfen

Sarazen und Frankenritter;

Wie verzweifelnd, wie verblutend

Klingen Rolands Waldhornrüfe!

In dem Tal von Ronceval,

Unfern von der Rolandsscharte –

So geheißen, weil der Held,

Um sich einen Weg zu bahnen,

Mit dem guten Schwert Duranda

Also todesgrimmig einhieb

In die Felswand, daß die Spuren

Bis auf heutgem Tage sichtbar –

Dort in einer düstren Steinschlucht,

Die umwachsen von dem Buschwerk

Wilder Tannen, tief verborgen,

Liegt die Höhle Atta Trolls.

Dort, im Schoße der Familie,

Ruht er aus von den Strapazen

Seiner Flucht und von der Mühsal

Seiner Völkerschau und Weltfahrt.

Süßes Wiedersehn! Die Jungen

Fand er in der teuren Höhle,

Wo er sie gezeugt mit Mumma;

Söhne vier und Töchter zwei.

Wohlgeleckte Bärenjungfraun,

Blond von Haar, wie Predgerstöchter;

Braun die Buben, nur der Jüngste

Mit dem einzgen Ohr ist schwarz.

Dieser Jüngste war das Herzblatt

Seiner Mutter, die ihm spielend

Abgebissen einst ein Ohr;

Und sie fraß es auf vor Liebe.

Ist ein genialer Jüngling,

Für Gymnastik sehr begabt,

Und er schlägt die Purzelbäume

Wie der Turnkunstmeister Maßmann.

Blüte autochthoner Bildung,

Liebt er nur die Muttersprache,

Lernte nimmer den Jargon

Des Hellenen und des Römlings.

Frisch und frei und fromm und fröhlich,

Ist verhaßt ihm alle Seife,

Luxus des modernen Waschens,

Wie dem Turnkunstmeister Maßmann.

Am genialsten ist der Jüngling,

Wenn er klettert auf dem Baume,

Der, entlang der steilsten Felswand,

Aus der tiefen Schlucht emporsteigt

Und hinaufragt bis zur Koppe,

Wo des Nachts die ganze Sippschaft

Sich versammelt um den Vater,

Kosend in der Abendkühle.

Gern erzählt alsdann der Alte,

Was er in der Welt erlebte,

Wie er Menschen viel und Städte

Einst gesehn, auch viel erduldet,

Gleich dem edlen Laertiaden,

Diesem nur darin unähnlich,

Daß die Gattin mit ihm reiste,

Seine schwarze Penelope.

Auch erzählt dann Atta Troll

Von dem kolossalen Beifall,

Den er einst durch seine Tanzkunst

Eingeerntet bei den Menschen.

Er versichert, Jung und Alt

Habe jubelnd ihn bewundert,

Wenn er tanzte auf den Märkten

Bei der Sackpfeif süßen Tönen.

Und die Damen ganz besonders,

Diese zarten Kennerinnen,

Hätten rasend applaudiert

Und ihm huldreich zugeäugelt.

O, der Künstlereitelkeiten!

Schmunzelnd denkt der alte Tanzbär

An die Zeit, wo sein Talent

Vor dem Publiko sich zeigte.

Übermannt von Selbstbegeistrung,

Will er durch die Tat bekunden,

Daß er nicht ein armer Prahlhans,

Daß er wirklich groß als Tänzer –

Und vom Boden springt er plötzlich,

Stellt sich auf die Hintertatzen,

Und wie ehmals tanzt er wieder

Seinen Leibtanz, die Gavotte.

Stumm, mit aufgesperrten Schnauzen,

Schauen zu die Bärenjungen,

Wie der Vater hin und her springt

Wunderbar im Mondenscheine.

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