Ungekürztes Werk "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine (Seite 27)

Caput XXV

Die Göttin hat mir Tee gekocht

Und Rum hineingegossen;

Sie selber aber hat den Rum

Ganz ohne Tee genossen.

An meine Schulter lehnte sie

Ihr Haupt (die Mauerkrone,

Die Mütze, ward etwas zerknittert davon)

Und sie sprach mit sanftem Tone:

»Ich dachte manchmal mit Schrecken dran,

Daß du in dem sittenlosen

Paris so ganz ohne Aufsicht lebst,

Bei jenen frivolen Franzosen.

Du schlenderst dort herum und hast

Nicht mal an deiner Seite

Einen treuen deutschen Verleger, der dich

Als Mentor warne und leite.

Und die Verführung ist dort so groß,

Dort gibt es so viele Sylphiden,

Die ungesund, und gar zu leicht

Verliert man den Seelenfrieden.

Geh nicht zurück und bleib bei uns;

Hier herrschen noch Zucht und Sitte,

Und manches stille Vergnügen blüht

Auch hier, in unserer Mitte.

Bleib bei uns in Deutschland, es wird dir hier

Jetzt besser als ehmals munden;

Wir schreiten fort, du hast gewiß

Den Fortschritt selbst gefunden.

Auch die Zensur ist nicht mehr streng,

Hoffmann wird älter und milder

Und streicht nicht mehr mit Jugendzorn

Dir deine Reisebilder.

Du selbst bist älter und milder jetzt,

Wirst dich in manches schicken,

Und wirst sogar die Vergangenheit

In besserem Lichte erblicken.

Ja, daß es uns früher so schrecklich ging,

In Deutschland, ist Übertreibung;

Man konnte entrinnen der Knechtschaft, wie einst

In Rom, durch Selbstentleibung.

Gedankenfreiheit genoß das Volk,

Sie war für die großen Massen,

Beschränkung traf nur die gringe Zahl

Derjengen, die drucken lassen.

Gesetzlose Willkür herrschte nie,

Dem schlimmsten Demagogen

Ward niemals ohne Urteilspruch

Die Staatskokarde entzogen.

So übel war es in Deutschland nie,

Trotz aller Zeitbedrängnis –

Glaub mir, verhungert ist nie ein Mensch

In einem deutschen Gefängnis.

Es blühte in der Vergangenheit

So manche schöne Erscheinung

Des Glaubens und der Gemütlichkeit;

Jetzt herrscht nur Zweifel, Verneinung.

Die praktische äußere Freiheit wird einst

Das Ideal vertilgen,

Das wir im Busen getragen – es war

So rein wie der Traum der Liljen!

Auch unsre schöne Poesie

Erlischt, sie ist schon ein wenig

Erloschen; mit andern Königen stirbt

Auch Freiligraths Mohrenkönig.

Der Enkel wird essen und trinken genug,

Doch nicht in beschaulicher Stille;

Es poltert heran ein Spektakelstück,

Zu Ende geht die Idylle.

O, könntest du schweigen, ich würde dir

Das Buch des Schicksals entsiegeln,

Ich ließe dir spätere Zeiten sehn

In meinen Zauberspiegeln.

Was ich den sterblichen Menschen nie

Gezeigt, ich möcht es dir zeigen:

Die Zukunft deines Vaterlands –

Doch ach! du kannst nicht schweigen!«

Mein Gott, o Göttin! – rief ich entzückt –

Das wäre mein größtes Vergnügen,

Laß mich das künftige Deutschland sehn –

Ich bin ein Mann und verschwiegen.

Ich will dir schwören jeden Eid,

Den du nur magst begehren,

Mein Schweigen zu verbürgen dir –

Sag an, wie soll ich schwören?

Doch jene erwiderte: »Schwöre mir

In Vater Abrahams Weise,

Wie er Eliesern schwören ließ,

Als dieser sich gab auf die Reise.

Heb auf das Gewand und lege die Hand

Hier unten an meine Hüften,

Und schwöre mir Verschwiegenheit

In Reden und in Schriften!«

Ein feierlicher Moment! Ich war

Wie angeweht vom Hauche

Der Vorzeit, als ich schwur den Eid,

Nach uraltem Erzväterbrauche.

Ich hob das Gewand der Göttin auf

Und legte an ihre Hüften

Die Hand, gelobend Verschwiegenheit

In Reden und in Schriften.

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