Ungekürztes Werk "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine (Seite 6)

Caput IV

Zu Cöllen kam ich spät abends an,

Da hörte ich rauschen den Rheinfluß,

Da fächelte mich schon deutsche Luft,

Da fühlt ich ihren Einfluß –

Auf meinen Appetit. Ich aß

Dort Eierkuchen mit Schinken,

Und da er sehr gesalzen war,

Mußt ich auch Rheinwein trinken.

Der Rheinwein glänzt noch immer wie Gold

Im grünen Römerglase,

Und trinkst du etwelche Schoppen zu viel,

So steigt er dir in die Nase.

In die Nase steigt ein Prickeln so süß,

Man kann sich vor Wonne nicht lassen!

Es trieb mich hinaus in die dämmernde Nacht,

In die widerhallenden Gassen.

Die steinernen Häuser schauten mich an,

Als wollten sie mir berichten

Legenden aus altverschollener Zeit,

Der heilgen Stadt Cöllen Geschichten.

Ja, hier hat einst die Klerisei

Ihr frommes Wesen getrieben,

Hier haben die Dunkelmänner geherrscht,

Die Ulrich von Hutten beschrieben.

Der Cancan des Mittelalters ward hier

Getanzt von Nonnen und Mönchen;

Hier schrieb Hochstraaten, der Menzel von Cöln,

Die giftgen Denunziatiönchen.

Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier

Bücher und Menschen verschlungen;

Die Glocken wurden geläutet dabei

Und Kyrie Eleison gesungen.

Dummheit und Bosheit buhlten hier

Gleich Hunden auf freier Gasse;

Die Enkelbrut erkennt man noch heut

An ihrem Glaubenshasse. –

Doch siehe! dort im Mondenschein

Den kolossalen Gesellen!

Er ragt verteufelt schwarz empor,

Das ist der Dom von Cöllen.

Er sollte des Geistes Bastille sein,

Und die listigen Römlinge dachten:

In diesem Riesenkerker wird

Die deutsche Vernunft verschmachten!

Da kam der Luther, und er hat

Sein großes »Halt!« gesprochen –

Seit jenem Tage blieb der Bau

Des Domes unterbrochen.

Er ward nicht vollendet – und das ist gut.

Denn eben die Nichtvollendung

Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft

Und protestantischer Sendung.

Ihr armen Schelme vom Domverein,

Ihr wollt mit schwachen Händen

Fortsetzen das unterbrochene Werk

Und die alte Zwingburg vollenden!

O törichter Wahn! Vergebens wird

Geschüttelt der Klingelbeutel,

Gebettelt bei Ketzern und Juden sogar;

Ist alles fruchtlos und eitel.

Vergebens wird der große Franz Liszt

Zum Besten des Doms musizieren,

Und ein talentvoller König wird

Vergebens deklamieren!

Er wird nicht vollendet, der Cölner Dom,

Obgleich die Narren in Schwaben

Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff

Voll Steine gesendet haben.

Er wird nicht vollendet, trotz allem Geschrei

Der Raben und der Eulen,

Die, altertümlich gesinnt, so gern

In hohen Kirchtürmen weilen.

Ja, kommen wird die Zeit sogar,

Wo man, statt ihn zu vollenden,

Die inneren Räume zu einem Stall

Für Pferde wird verwenden.

»Und wird der Dom ein Pferdestall,

Was sollen wir dann beginnen

Mit den heilgen drei Köngen, die da ruhn

Im Tabernakel da drinnen?«

So höre ich fragen. Doch brauchen wir uns

In unserer Zeit zu genieren?

Die heilgen drei Könge aus Morgenland,

Sie können wo anders logieren.

Folgt meinem Rat und steckt sie hinein

In jene drei Körbe von Eisen,

Die hoch zu Münster hängen am Turm,

Der Sankt Lamberti geheißen.

Der Schneiderkönig saß darin

Mit seinen beiden Räten,

Wir aber benutzen die Körbe jetzt

Für andre Majestäten.

Zur Rechten soll Herr Balthasar,

Zur Linken Herr Melchior schweben,

In der Mitte Herr Gaspar – Gott weiß, wie einst

Die Drei gehaust im Leben!

Die heilge Allianz des Morgenlands,

Die jetzt kanonisieret,

Sie hat vielleicht nicht immer schön

Und fromm sich aufgeführet.

Der Balthasar und der Melchior,

Das waren vielleicht zwei Gäuche,

Die in der Not eine Konstitution

Versprochen ihrem Reiche,

Und später nicht Wort gehalten – Es hat

Herr Gaspar, der König der Mohren,

Vielleicht mit schwarzem Undank sogar

Belohnt sein Volk, die Toren!

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