Ungekürztes Werk "Deutschland. Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine (Seite 9)

Caput VII

Ich ging nach Haus und schlief, als ob

Die Engel gewiegt mich hätten.

Man ruht in deutschen Betten so weich,

Denn das sind Federbetten.

Wie sehnt ich mich oft nach der Süßigkeit

Des vaterländischen Pfühles,

Wenn ich auf harten Matratzen lag,

In der schlaflosen Nacht des Exiles!

Man schläft sehr gut und träumt auch gut

In unseren Federbetten.

Hier fühlt die deutsche Seele sich frei

Von allen Erdenketten.

Sie fühlt sich frei und schwingt sich empor

Zu den höchsten Himmelsräumen.

O deutsche Seele, wie stolz ist dein Flug

In deinen nächtlichen Träumen!

Die Götter erbleichen, wenn du nahst!

Du hast auf deinen Wegen

Gar manches Sternlein ausgeputzt

Mit deinen Flügelschlägen!

Franzosen und Russen gehört das Land,

Das Meer gehört den Briten,

Wir aber besitzen im Luftreich des Traums

Die Herrschaft unbestritten.

Hier üben wir die Hegemonie,

Hier sind wir unzerstückelt;

Die andern Völker haben sich

Auf platter Erde entwickelt. – –

Und als ich einschlief, da träumte mir,

Ich schlenderte wieder im hellen

Mondschein die hallenden Straßen entlang,

In dem altertümlichen Cöllen.

Und hinter mir ging wieder einher

Mein schwarzer, vermummter Begleiter.

Ich war so müde, mir brachen die Knie,

Doch immer gingen wir weiter.

Wir gingen weiter. Mein Herz in der Brust

War klaffend aufgeschnitten,

Und aus der Herzenswunde hervor

Die roten Tropfen glitten.

Ich tauchte manchmal die Finger hinein,

Und manchmal ist es geschehen,

Daß ich die Haustürpfosten bestrich

Mit dem Blut im Vorübergehen.

Und jedesmal, wenn ich ein Haus

Bezeichnet in solcher Weise,

Ein Sterbeglöckchen erscholl fernher,

Wehmütig wimmernd und leise.

Am Himmel aber erblich der Mond,

Er wurde immer trüber;

Gleich schwarzen Rossen jagten an ihm

Die wilden Wolken vorüber.

Und immer ging hinter mir einher

Mit seinem verborgenen Beile

Die dunkle Gestalt – so wanderten wir

Wohl eine gute Weile.

Wir gehen und gehen, bis wir zuletzt

Wieder zum Domplatz gelangen;

Weit offen standen die Pforten dort,

Wir sind hineingegangen.

Es herrschte im ungeheuren Raum

Nur Tod und Nacht und Schweigen;

Es brannten Ampeln hie und da,

Um die Dunkelheit recht zu zeigen.

Ich wandelte lange den Pfeilern entlang

Und hörte nur die Tritte

Von meinem Begleiter, er folgte mir

Auch hier bei jedem Schritte.

Wir kamen endlich zu einem Ort,

Wo funkelnde Kerzenhelle

Und blitzendes Gold und Edelstein;

Das war die Drei-Königs-Kapelle.

Die heilgen drei Könige jedoch,

Die sonst so still dort lagen,

O Wunder! sie saßen aufrecht jetzt

Auf ihren Sarkophagen.

Drei Totengerippe, phantastisch geputzt,

Mit Kronen auf den elenden

Vergilbten Schädeln, sie trugen auch

Das Zepter in knöchernen Händen.

Wie Hampelmänner bewegten sie

Die längstverstorbenen Knochen;

Die haben nach Moder und zugleich

Nach Weihrauchduft gerochen.

Der Eine bewegte sogar den Mund

Und hielt eine Rede, sehr lange;

Er setzte mir auseinander, warum

Er meinen Respekt verlange.

Zuerst weil er ein Toter sei,

Und zweitens weil er ein König,

Und drittens weil er ein Heilger sei –

Das alles rührte mich wenig.

Ich gab ihm zur Antwort lachenden Muts:

Vergebens ist deine Bemühung!

Ich sehe, daß du der Vergangenheit

Gehörst in jeder Beziehung.

Fort! fort von hier! im tiefen Grab

Ist Eure natürliche Stelle.

Das Leben nimmt jetzt in Beschlag

Die Schätze dieser Kapelle.

Der Zukunft fröhliche Kavallerie

Soll hier im Dome hausen.

Und weicht Ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt

Und laß Euch mit Kolben lausen!

So sprach ich, und ich drehte mich um,

Da sah ich furchtbar blinken

Des stummen Begleiters furchtbares Beil –

Und er verstand mein Winken.

Er nahte sich, und mit dem Beil

Zerschmetterte er die armen

Skelette des Aberglaubens, er schlug

Sie nieder ohn Erbarmen.

Es dröhnte der Hiebe Widerhall

Aus allen Gewölben, entsetzlich, –

Blutströme schossen aus meiner Brust,

Und ich erwachte plötzlich.

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