Interpretation "Hyperion" von Friedrich Hölderlin (Seite 4)

Hölderlin hat in seiner Dichtung eine poetologische Diskussion vorweggenommen, die sich erst hundert Jahre später voll entfalten soll und bis in unsere Tage nicht abgeschlossen ist. Er, der vielleicht am radikalsten mit dem gegebenen Sprachmaterial umgegangen ist, fühlt mit der Sensibilität des Genies das Zwiespältige im Wesen der Sprache, die als Poesie die Verbindung zum Göttlichen herstellt, im alltäglichen Gebrauch aber zum bloßen Kommunikationsmedium verkommt, zerschlissen und letztlich banal wird. Das späte Fragment Im Walde enthält den Satz "[...] und darum ist der Güter Gefährlichstes, die Sprache, dem Menschen gegeben, damit er schaffend, zerstörend [...] zeuge, was er sei." Stéphane Mallarmé hat sein gesamtes Schaffen als Ringen um die poésie pure verstanden, um eine Dichtung, deren angestrebte Reinheit nicht Weltabgewandtheit, sondern Rückkehr zum magischen Ursprung der Sprache sein sollte – und hat das notwendige Scheitern dieses Versuchs als Bestimmung des Dichters angesehen.

Paul Celan hat, wie vielleicht kein anderer, die volle Tragweite der Problematik erkannt und in seine Lyrik aufgenommen. Es ist kein Zufall, dass sein Werk von der Auseinandersetzung mit Mallarmé geprägt ist und dass er Friedrich Hölderlin mit einem der beeindruckendsten Gedichte des 20. Jahrhunderts ein poetisches Denkmal gesetzt hat: Tübingen, Jänner, das mit einem Zitat aus Hölderlins Privatsprache aus der Zeit der geistigen Umnachtung endet: "Pallaksch. Pallaksch."

Wie immer Hölderlins Geisteszustand in den letzten vier Jahrzehnten seines Lebens bewertet werden mag – das Wenige, das der "Mit Untertänigkeit Scardanelli" Unterzeichnende aus dieser Zeit hinterlassen hat, kann nicht außerhalb des Zusammenhangs seines Gesamtwerkes gestellt werden. Auffallend sind die distanzierte, völlig unpathetische Grundstimmung und die Beschränktheit auf reine Naturbeschreibung, die auf seltsame Weise an japanische Haiku-Kunst erinnert. Hinzu kommt die Tendenz, die erblickte Landschaft als Dekor, als Gemachtes zu deuten: "Des Feldes Grün ist prächtig ausgebreitet", "Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret" – was in Hölderlin wirklich vorgegangen ist, werden wir zwar nie erfahren, doch die Gelassenheit der späten Texte vermittelt die Ahnung, dass eine Versöhnung stattgefunden haben muss, die mit den Mitteln der Ratio nicht nachvollziehbar ist. Eine Spur des zurückgelegten Weges lässt sich indes sehr wohl verfolgen:

"Die prächtige Erscheinung ist, die Luft ist feiner,
Der Wald ist hell, es geht der Menschen keiner
Auf Straßen, die zu sehr entlegen sind, die Stille machet
Erhabenheit, wie dennoch alles lachet."

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