Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 133)

über Sortini beschwert, wenn er nicht den kürzeren und sicheren Weg in den Herrenhof vorgezogen hat. Das allerhäßlichste an der Geschichte ist ja nicht die Beleidigung Amalias, die konnte leicht gutgemacht werden, ich weiß nicht, warum du so übermäßig großes Gewicht gerade darauf legst; warum sollte Sortini mit einem solchen Brief Amalia für immer bloßgestellt haben, nach deiner Erzählung könnte man das glauben, gerade das ist aber doch nicht möglich, eine Genugtuung war Amalia leicht zu verschaffen, und in ein paar Tagen war der Vorfall vergessen; Sortini hat nicht Amalia bloßgestellt, sondern sich selbst. Vor Sortini also schrecke ich zurück, vor der Möglichkeit, daß es einen solchen Mißbrauch der Macht gibt. Was in diesem Fall mißlang, weil es klipp und klar gesagt und völlig durchsichtig war und an Amalia einen überlegenen Gegner fand, kann in tausend anderen Fällen, bei nur ein wenig ungünstigeren Fällen, völlig gelingen und kann sich jedem Blick entziehen, auch dem Blick des Mißbrauchten.”

“Still”, sagte Olga, “Amalia sieht herüber.” Amalia hatte die Fütterung der Eltern beendet und war jetzt daran, die Mutter auszuziehen; sie hatte ihr gerade den Rock losgebunden, hing sich die Arme der Mutter um den Hals, hob sie so ein wenig, streifte ihr den Rock ab und setzte sie dann sanft wieder nieder. Der Vater, immer unzufrieden damit, daß die Mutter zuerst bedient wurde – was aber offenbar nur deshalb geschah, weil die Mutter noch hilfloser war als er –, versuchte, vielleicht auch, um die Tochter für ihre vermeintliche Langsamkeit zu strafen, sich selbst zu entkleiden, aber obwohl er bei dem Unnötigsten und Leichtesten anfing, den übergroßen Pantoffeln, in welchen seine Füße nur lose staken, wollte es ihm auf keine Weise gelingen, sie abzustreifen; er mußte es unter heiserem Röcheln bald aufgeben und lehnte wieder steif in seinem Stuhl.

“Das Entscheidende erkennst du nicht”, sagte Olga, “du magst ja recht haben mit allem, aber das Entscheidende war, daß Amalia nicht in den Herrenhof ging; wie sie den Boten behandelt hatte, das mochte an sich noch hingehen, das hätte sich vertuschen lassen; damit aber, daß sie nicht hinging, war der Fluch über unsere Familie ausgesprochen, und nun war allerdings auch die Behandlung des Boten etwas Unverzeihliches, ja, es wurde sogar für die Öffentlichkeit in den Vordergrund geschoben.” – “Wie!” rief K. und dämpfte sofort die Stimme, da Olga bittend die Hände hob. “Du, die Schwester, sagst doch nicht etwa, daß Amalia Sortini hätte folgen und in den Herrenhof hätte laufen sollen?” “Nein”, sagte Olga, “möge ich beschützt werden vor derartigem Verdacht; wie kannst du das glauben? Ich kenne niemanden, der so fest im Recht wäre wie Amalia bei allem, was sie tut. Wäre sie in den Herrenhof gegangen, hätte ich ihr freilich ebenso recht gegeben; daß sie aber nicht gegangen ist, war heldenhaft. Was mich betrifft, ich gestehe es dir offen, wenn ich einen solchen Brief bekommen hätte, ich wäre gegangen. Ich hätte die Furcht vor dem Kommenden nicht ertragen, das konnte nur Amalia. Es gab ja manche Auswege, eine andere hätte sich zum Beispiel recht

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