Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 19)

wie du fliegst, ich dachte du wärest noch im Haus –, wer weiß, wie lange ich auf dein nächstes Erscheinen hätte warten müssen.” – “Du kannst ja”, sagte Barnabas, “den Vorstand bitten, daß ich immer zu bestimmten, von dir angegebenen Zeiten komme.” – “Auch das würde nicht genügen”, sagte K., “vielleicht will ich ein Jahr lang gar nichts sagen lassen, aber gerade eine Viertelstunde nach deinem Weggehen etwas Unaufschiebbares.” – “Soll ich also”, sagte Barnabas, “dem Vorstand melden, daß zwischen ihm und dir eine andere Verbindung hergestellt werden soll als durch mich?” – “Nein, nein”, sagte K., “ganz und gar nicht, ich erwähnte diese Sache nur nebenbei, diesmal habe ich dich ja noch glücklich erreicht.” – “Wollen wir”, sagte Barnabas, “ins Wirtshaus zurückgehen, damit du mir dort den neuen Auftrag geben kannst?” Schon hatte er einen Schritt weiter zum Haus hin gemacht. “Barnabas”, sagte K., “es ist nicht nötig, ich gehe ein Stückchen Wegs mit dir.” – “Warum willst du nicht ins Wirtshaus gehen?” fragte Barnabas. “Die Leute stören mich dort”, sagte K., “die Zudringlichkeit der Bauern hast du selbst gesehen.” – “Wir können in dein Zimmer gehen”, sagte Barnabas. “Es ist das Zimmer der Mägde”, sagte K., “schmutzig und dumpf; um dort nicht bleiben zu müssen, wollte ich ein wenig mit dir gehen; du mußt nur”, fügte K. hinzu, um sein Zögern endgültig zu überwinden, “mich in dich einhängen lassen, denn du gehst sicherer.” Und K. hing sich an seinen Arm. Es war ganz finster, sein Gesicht sah K. gar nicht, seine Gestalt undeutlich, den Arm hatte er, schon ein Weilchen vorher, zu ertasten gesucht.

Barnabas gab nach, sie entfernten sich vom Wirtshaus. Freilich fühlte K., daß er trotz größter Anstrengung gleichen Schritt mit Barnabas zu halten nicht imstande war, seine freie Bewegung hinderte, und daß unter gewöhnlichen Umständen schon an dieser Nebensächlichkeit alles scheitern müsse, gar in Seitengassen wie jener, wo K. am Vormittag im Schnee versunken war und aus der er nur von Barnabas getragen herauskommen konnte. Doch hielt er solche Besorgnisse jetzt von sich fern, auch tröstete es ihn, daß Barnabas schwieg; wenn sie schweigend gingen, dann konnte doch auch für Barnabas nur das Weitergehen selbst den Zweck ihres Beisammenseins bilden.

Sie gingen, aber K. wußte nicht, wohin; nichts konnte er erkennen. Nicht einmal, ob sie schon an der Kirche vorübergekommen waren, wußte er. Durch die Mühe, welche ihm das bloße Gehen verursachte, geschah es, daß er seine Gedanken nicht beherrschen konnte. Statt auf das Ziel gerichtet zu bleiben, verwirrten sie sich. Immer wieder tauchte die Heimat auf, und Erinnerungen an sie erfüllten ihn. Auch dort stand auf dem Hauptplatz eine Kirche, zum Teil war sie von einem alten Friedhof und dieser von einer hohen Mauer umgeben. Nur sehr wenige Jungen hatten diese Mauer erklettert, auch K. war es noch nicht gelungen. Nicht Neugier trieb sie dazu, der Friedhof hatte vor ihnen kein Geheimnis mehr. Durch seine kleine Gittertür waren sie schon oft hineingekommen, nur die glatte, hohe Mauer wollten sie bezwingen. An einem Vormittag – der stille,

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