Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 46)

Falles, Sie sind noch weit entfernt vom Verständnis für die Behörde, wenn Sie das glauben. Aber selbst wenn es auf den Umfang der Arbeit ankäme, wäre Ihr Fall einer der geringsten, die gewöhnlichen Fälle, also jene ohne sogenannte Fehler, geben noch viel mehr und freilich auch viel ergiebigere Arbeit. Übrigens wissen Sie ja noch gar nichts von der eigentlichen Arbeit, die Ihr Fall verursachte, von der will ich ja erst erzählen. Zunächst ließ mich nun Sordini aus dem Spiel, aber seine Beamten kamen, täglich fanden protokollarische Verhöre angesehener Gemeindemitglieder im Herrenhof statt. Die meisten hielten zu mir, nur einige wurden stutzig; die Frage der Landvermessung geht einem Bauern nahe, sie witterten irgendwelche geheime Verabredungen und Ungerechtigkeiten, fanden überdies einen Führer, und Sordini mußte aus ihren Angaben die Überzeugung gewinnen, daß, wenn ich die Frage im Gemeinderat vorgebracht hätte, nicht alle gegen die Berufung eines Landvermessers gewesen wären. So wurde eine Selbstverständlichkeit – daß nämlich kein Landvermesser nötig ist – immerhin zumindest fragwürdig gemacht. Besonders zeichnete sich hierbei ein gewisser Brunswick aus – Sie kennen ihn wohl nicht –, er ist vielleicht nicht schlecht, aber dumm und phantastisch, er ist ein Schwager von Lasemann.”

“Vom Gerbermeister?” fragte K. und beschrieb den Vollbärtigen, den er bei Lasemann gesehen hatte.

“Ja, das ist er”, sagte der Vorsteher.

“Ich kenne auch seine Frau”, sagte K., ein wenig aufs Geratewohl.

“Das ist möglich”, sagte der Vorsteher und verstummte.

“Sie ist schön”, sagte K., “aber ein wenig bleich und kränklich. Sie stammt wohl aus dem Schloß?” Das war halb fragend gesagt.

Der Vorsteher sah auf die Uhr, goß Medizin auf einen Löffel und schluckte sie hastig.

“Sie kennen im Schloß wohl nur die Büroeinrichtungen?” fragte K. grob.

“Ja”, sagte der Vorsteher mit einem ironischen und doch dankbaren Lächeln. “Sie sind auch das Wichtigste. Und was Brunswick betrifft: Wenn wir ihn aus der Gemeinde ausschließen könnten, wären wir fast alle glücklich und Lasemann nicht am wenigsten. Aber damals gewann Brunswick einigen Einfluß, ein Redner ist er zwar nicht, aber ein Schreier, und auch das genügt manchen. Und so kam es, daß ich gezwungen wurde, die Sache dem Gemeinderate vorzulegen, übrigens zunächst Brunswicks einziger Erfolg, denn natürlich wollte der Gemeinderat mit großer Mehrheit von einem Landvermesser nichts wissen. Auch das ist nun schon jahrelang her, aber die ganze Zeit über ist die Sache nicht zur Ruhe gekommen, zum Teil durch die Gewissenhaftigkeit Sordinis, der die Beweggründe sowohl der Majorität als auch der Opposition durch die sorgfältigsten Erhebungen zu erforschen suchte, zum Teil durch die Dummheit und den Ehrgeiz Brunswicks, der verschiedene persönliche Verbindungen mit den Behörden hat, die er mit immer neuen Erfindungen seiner Phantasie in Bewegung brachte. Sordini allerdings ließ sich von Brunswick nicht täuschen, wie könnte Brunswick Sordini täuschen? – Aber eben um sich nicht täuschen zu lassen, waren neue Erhebungen nötig, und noch ehe sie beendigt waren, hatte Brunswick schon wieder etwas Neues ausgedacht, sehr beweglich ist er ja, es gehört das zu seiner Dummheit. Und nun komme ich auf eine besondere Eigenschaft unseres behördlichen Apparates zu sprechen. Entsprechend seiner Präzision ist er

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