Ungekürztes Werk "Das Schloß" von Franz Kafka (Seite 55)

doch Frieda, wenn sie es auch noch nicht in vollem Umfang zu wissen scheint. Aber meine Gedanken beherrschte doch mein Unglück damals ausschließlicher, denn immerfort mußte ich mich fragen und höre im Grunde auch heute noch nicht auf, so zu fragen: Warum ist das geschehen? Dreimal hat dich Klamm rufen lassen und zum viertenmal nicht mehr und niemals mehr zum viertenmal! Was beschäftigte mich damals mehr? Worüber konnte ich denn sonst mit meinem Mann sprechen, den ich damals kurz nachher heiratete? Bei Tag hatten wir keine Zeit, wir hatten dieses Wirtshaus in einem elenden Zustand übernommen und mußten es in die Höhe zu bringen suchen, aber in der Nacht? Jahrelang drehten sich unsere nächtlichen Gespräche nur um Klamm und die Gründe seiner Sinnesänderung. Und wenn mein Mann bei diesen Unterhaltungen einschlief, weckte ich ihn, und wir sprachen weiter.”

“Nun werde ich”, sagte K., “wenn Sie erlauben, eine sehr grobe Frage stellen.”

Die Wirtin schwieg.

“Ich darf also nicht fragen”, sagte K., “auch das genügt mir.”

“Freilich”, sagte die Wirtin, “auch das genügt Ihnen, und das besonders. Sie mißdeuten alles, auch das Schweigen. Sie können eben nicht anders. Ich erlaube Ihnen zu fragen.”

“Wenn ich alles mißdeute”, sagte K., “mißdeute ich vielleicht auch meine Frage, vielleicht ist sie gar nicht so grob. Ich wollte nur wissen, wie Sie Ihren Mann kennengelernt haben und wie dieses Wirtshaus in Ihren Besitz gekommen ist?”

Die Wirtin runzelte die Stirn, sagte aber gleichmütig: “Das ist eine sehr einfache Geschichte. Mein Vater war Schmied, und Hans, mein jetziger Mann, der Pferdeknecht bei einem Großbauern war, kam öfters zu meinem Vater. Es war damals nach der letzten Zusammenkunft mit Klamm, ich war sehr unglücklich und hätte es eigentlich nicht sein dürfen, denn alles war ja korrekt vor sich gegangen, und daß ich nicht mehr zu Klamm durfte, war eben Klamms Entscheidung, war also korrekt; nur die Gründe waren dunkel, in denen durfte ich nicht forschen, aber unglücklich hätte ich nicht sein dürfen. Nun, ich war es doch und konnte nicht arbeiten und saß in unserem Vorgärtchen, den ganzen Tag. Dort sah mich Hans, setzte sich manchmal zu mir, ich klagte ihm nicht, aber er wußte, worum es ging, und weil er ein guter Junge ist, kam es vor, daß er mit mir weinte. Und als der damalige Gastwirt, dem die Frau gestorben war und der deshalb das Gewerbe aufgeben mußte – auch war er schon ein alter Mann –, einmal an unserem Gärtchen vorüberkam und uns dort sitzen sah, blieb er stehen und bot uns kurzerhand das Wirtshaus zur Pacht an, wollte, weil er Vertrauen zu uns habe, kein Geld im voraus und setzte die Pacht sehr billig an. Dem Vater wollte ich nicht zur Last fallen, alles andere war mir gleichgültig, und so reichte ich in Gedanken an das Wirtshaus und an die neue, vielleicht ein wenig Vergessen bringende Arbeit Hans die Hand. Das ist die Geschichte.”

Es war ein Weilchen still, dann sagte K.: “Die Handlungsweise des Gastwirts war schön, aber unvorsichtig, oder hatte er besondere Gründe für sein Vertrauen zu Ihnen

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