Ungekürztes Werk "Der Prozeß" von Franz Kafka (Seite 113)

lange”, sagte der Kaufmann und lächelte wieder, “vollständig vergessen kann man sie leider nicht, besonders die Nacht ist solchen Gedanken günstig. Aber damals wollte ich ja sofortige Erfolge, ich ging daher zu den Winkeladvokaten.”

“Wie ihr hier beieinander sitzt!” rief Leni, die mit der Tasse zurückgekommen war und in der Tür stehenblieb. Sie saßen wirklich eng beisammen, bei der kleinsten Wendung mußten sie mit den Köpfen aneinanderstoßen, der Kaufmann, der, abgesehen von seiner Kleinheit, auch noch den Rücken gekrümmt hielt, hatte K. gezwungen, sich auch tief zu bücken, wenn er alles hören wollte. “Noch ein Weilchen!” rief K. Leni abwehrend zu und zuckte ungeduldig mit der Hand, die er noch immer auf des Kaufmanns Hand liegen hatte. “Er wollte, daß ich ihm von meinem Prozeß erzähle”, sagte der Kaufmann zu Leni. “Erzähle nur, erzähle”, sagte diese. Sie sprach mit dem Kaufmann liebevoll, aber doch auch herablassend, K. gefiel das nicht; wie er jetzt erkannt hatte, hatte der Mann doch einen gewissen Wert, zumindest hatte er Erfahrungen, die er gut mitzuteilen verstand. Leni beurteilte ihn wahrscheinlich unrichtig. Er sah ärgerlich zu, als Leni jetzt dem Kaufmann die Kerze, die er die ganze Zeit über festgehalten hatte, abnahm, ihm die Hand mit ihrer Schürze abwischte und dann neben ihm niederkniete, um etwas Wachs wegzukratzen, das von der Kerze auf seine Hose getropft war. “Sie wollten mir von den Winkeladvokaten erzählen”, sagte K. und schob, ohne eine weitere Bemerkung, Lenis Hand weg. “Was willst du denn?” fragte Leni, schlug leicht nach K. und setzte ihr Arbeit fort. “Ja, von den Winkeladvokaten”, sagte der Kaufmann und fuhr sich über die Stirn, als denke er nach. K. wollte ihm nachhelfen und sagte: “Sie wollten sofortige Erfolge haben und gingen deshalb zu den Winkeladvokaten.” “Ganz richtig”, sagte der Kaufmann, setzte aber nicht fort. “Er will vielleicht vor Leni nicht davon sprechen”, dachte K., bezwang seine Ungeduld, das Weitere gleich jetzt zu hören, und drang nun nicht mehr weiter in ihn.

“Hast du mich angemeldet?” fragte er Leni. “Natürlich”, sagte diese, “er wartet auf dich. Laß jetzt Block, mit Block kannst du auch später reden, er bleibt doch hier.” K. zögerte noch. “Sie bleiben hier?” fragte er den Kaufmann, er wollte dessen eigene Antwort, er wollte nicht, daß Leni vom Kaufmann wie von einem Abwesenden sprach, er war heute gegen Leni voll geheimen Ärgers. Und wieder antwortete nur Leni: “Er schläft hier öfters.” “Schläft hier?” rief K., er hatte gedacht, der Kaufmann werde hier nur auf ihn warten, während er die Unterredung mit dem Advokaten rasch erledigen würde, dann aber würden sie gemeinsam fortgehen und alles gründlich und ungestört besprechen. “Ja”, sagte Leni, “nicht jeder wird wie du, Josef, zu beliebiger Stunde beim Advokaten vorgelassen. Du scheinst dich ja gar nicht darüber zu wundern, daß dich der Advokat trotz seiner Krankheit noch um elf Uhr nachts empfängt. Du nimmst das, was deine Freunde für dich tun, doch als gar zu selbstverständlich an. Nun, deine Freunde oder zumindest ich, tun es gerne. Ich will keinen anderen Dank und brauche auch

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