Biographie Heinrich von Kleist (Seite 4)
Nicht zuletzt der spektakuläre Tod des Dichters hat dafür gesorgt, dass die Persönlichkeit Kleists bis heute sagenumwoben geblieben ist. Die Versuche, sein Leben an den Prinzipien der Aufklärung zu orientieren und einen vom Verstand bestimmten Lebensweg einzuschlagen, scheitern. Zeitlebens gelingt es Kleist nicht, sich innerhalb der ihn umgebenden sozialen Strukturen zurechtzufinden, stattdessen verschärft sich seine Identitätskrise fortwährend.
Die aus dem Bruch des eigenen Weltbildes entstandenen Schriften Kleists stellen eine Zäsur in der Literaturgeschichte dar. Zwar wird ihm immer wieder eine Position ‚außerhalb der Literaturgeschichte’ zugewiesen. Seine literarische Produktion ist allerdings keinesfalls unabhängig von den Strömungen seiner Zeit: Aufklärung, Klassik und Romantik. In seinen Werken werden diese Traditionen aufgegriffen, um gleichzeitig ad absurdum geführt zu werden. Kleists Schreiben kennzeichnet insofern den Beginn der Wende des aufklärerischen Weltbildes der Klassik zum Skeptizismus des modernen Zeitalters. Sein Werk geht gewissermaßen der eigenen Zeit voraus – und wird wohl deshalb auch zu seinen Lebzeiten missverstanden. Noch im Jahr 1828 verbietet Wilhelm II nach der Premiere des Prinz Friedrich von Homburg weitere Aufführungen.
Der zeitgenössischen Kritik Goethes stehen inzwischen zahlreiche Meinungen moderner Schriftsteller entgegen, die sich mit Kleist identifizieren: Franz Kafkas Vorliebe gilt der Erzählung Michael Kohlhaas, in der sich – ebenso wie in Kafkas Prosa – das Individuum innerhalb der gesellschaftlich legitimierten Rechtssysteme nicht zu behaupten vermag. Adolf Muschg bedient sich in der Einschätzung von Kleists Werk wiederum Kafkas Worten und spricht von der „Axt, die das gefrorene Meer in uns spaltet.“ Im Gegensatz zum ausbleibenden Erfolg seiner Stücke zu Lebzeiten zählt Der zerbrochne Krug inzwischen zu den meistaufgeführten Stücken auf deutschen Bühnen. Auch weitere Dramen erfreuen sich größter Beliebtheit. Dazu trägt der Mythos um Kleists Leben – und seinen Tod – sicherlich bei, allem voran steht allerdings die immerwährende Aktualität seiner Dramen und Prosa.