Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 52)

nicht! Was muß ich tun?

MILLER: Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Tränen deines Vaters – stirb!

LUISE nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit: Vater! Hier ist meine Hand! Ich will – Gott! Gott! was tu ich? was will ich? – Vater ich schwöre – Wehe mir, wehe! Verbrecherin wohin ich mich neige! – Vater es sei! – Ferdinand – Gott sieht herab! – So zernicht ich sein letztes Gedächtnis.

Sie zerreißt ihren Brief.

MILLER stürzt ihr freudetrunken an den Hals: Das ist meine Tochter! – Blick auf! Um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du einen glücklichen Vater gemacht. Unter Lachen und Weinen sie umarmend: Kind! Kind, das ich den Tag meines Lebens nicht wert war! Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin! – Meine Luise, mein Himmelreich! – O Gott! ich verstehe ja wenig vom Lieben, aber daß es eine Qual sein muß, aufzuhören – sowas begreif ich noch.

LUISE: Doch hinweg aus dieser Gegend mein Vater – Weg von der Stadt, wo meine Gespielinnen meiner spotten, und mein guter Name dahin ist auf immerdar – Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren der verlorenen Seligkeit anreden – Weg, wenn es möglich ist –

MILLER: Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brot unsers Herrgotts wächst überall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! Laß auch alles dahingehn – Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute, singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr Herz zerriß – wir betteln mit der Ballade von Türe zu Türe, und das Almosen wird köstlich schmecken von den Händen der Weinenden –

Zweite Szene

Ferdinand zu den Vorigen.

LUISE wird ihn zuerst gewahr, und wirft sich Millern laut schreiend um den Hals: Gott! Da ist er! Ich bin verloren.

MILLER: Wo? Wer?

LUISE zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major, und drückt sich fester an ihren Vater: Er! Er selbst! – Seh Er nur um sich Vater – Mich zu ermorden ist er da.

MILLER erblickt ihn, fährt zurück: Was? Sie hier Baron?

FERDINAND kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehn, und läßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause: Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntnis ist schrecklich aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung. – Guten Abend Miller.

MILLER: Aber um Gottes willen! Was wollen Sie Baron? Was führt Sie her? Was soll dieser Überfall?

FERDINAND: Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Sekunden zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden Wanduhr hing, und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte – Wie kommt's, daß ich jetzt überrasche?

MILLER: Gehen Sie, gehen Sie Baron – Wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb – Wenn Sie die nicht erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte, sobald Sie einen Fuß darein setzten – Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo

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