Ungekürztes Werk "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller (Seite 62)

dein Vater hat ihn diktiert.

Ferdinand starr und einer Bildsäule gleich, in langer toter Pause hingewurzelt, fällt endlich wie von einem Donnerschlag nieder.

LUISE: O des kläglichen Mißverstands – Ferdinand – Man zwang mich – vergib – deine Luise hätte den Tod vorgezogen – aber mein Vater – die Gefahr – sie machten es listig.

FERDINAND schrecklich emporgeworfen: Gelobet sei Gott! Noch spür ich den Gift nicht. Er reißt den Degen heraus.

LUISE von Schwäche zu Schwäche sinkend: Weh! Was beginnst du? Es ist dein Vater –

FERDINAND im Ausdruck der unbändigsten Wut: Mörder und Mördervater! – Mit muß er, daß der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase. Will hinaus.

LUISE: Sterbend vergab mein Erlöser – Heil über dich und ihn. Sie stirbt.

FERDINAND kehrt schnell um, wird ihre letzte sterbende Bewegung gewahr und fällt in Schmerz aufgelöst vor der Toten nieder: Halt! Halt! Entspringe mir nicht Engel des Himmels! Er faßt ihre Hand an, und läßt sie schnell wieder fallen. Kalt, kalt und feucht! Ihre Seele ist dahin. Er springt wieder auf. Gott meiner Luise! Gnade! Gnade dem verruchtesten der Mörder! Es war ihr letztes Gebet! – – Wie reizend und schön auch im Leichnam! Der gerührte Würger ging schonend über diese freundliche Wangen hin – Diese Sanftmut war keine Larve – sie hat auch dem Tod standgehalten. Nach einer Pause: Aber wie? Warum fühl ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend mich retten? Undankbare Mühe! Das ist meine Meinung nicht.

Er greift nach dem Glase.

Letzte Szene

Ferdinand. Der Präsident. Wurm und Bediente welche alle voll Schrecken ins Zimmer stürzen, darauf Miller mit Volk und Gerichtsdienern, welche sich im Hintergrund sammeln.

PRÄSIDENT den Brief in der Hand: Sohn, was ist das? – Ich will doch nimmermehr glauben –

FERDINAND wirft ihm das Glas vor die Füße: So sieh Mörder!

Präsident taumelt hinter sich. Alle erstarren. Eine schröckhafte Pause: Mein Sohn! Warum hast du mir das getan?

FERDINAND ohne ihn anzusehen: O ja freilich! Ich hätte den Staatsmann erst hören sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten passe? – Fein und bewundernswert, ich gesteh's, war die Finte, den Bund unsrer Herzen zu zerreißen durch Eifersucht – Die Rechnung hat ein Meister gemacht, aber schade nur, daß die zürnende Liebe dem Draht nicht so gehorsam blieb, wie deine hölzerne Puppe.

PRÄSIDENT sucht mit verdrehten Augen im ganzen Kreis herum: Ist hier niemand, der um einen trostlosen Vater weinte?

MILLER hinter der Szene rufend: Laßt mich hinein! Um Gottes willen! Laßt mich!

FERDINAND: Das Mädchen ist eine Heilige – für sie muß ein anderer rechten.

Er öffnet Millern die Türe, der mit Volk und Gerichtsdienern hereinstürzt.

MILLER in der fürchterlichsten Angst: Mein Kind! Mein Kind! – Gift – Gift, schreit man, sei hier genommen worden – Meine Tochter! Wo bist du?

FERDINAND führt ihn zwischen den Präsidenten und Luisens Leiche: Ich bin unschuldig – Danke diesem hier.

MILLER fällt an ihr zu Boden: O Jesus!

FERDINAND: In wenig Worten Vater – sie fangen an mir kostbar zu werden – Ich bin bübisch um mein Leben bestohlen, bestohlen durch Sie. Wie ich mit Gott stehe, zittre ich – doch ein Bösewicht bin ich niemals gewesen. Mein ewiges Los falle, wie es will – auf Sie fall es nicht – Aber ich hab einen Mord begangen. Mit furchtbar erhobener Stimme: einen Mord, den du mir nicht zumuten wirst allein vor den Richter der Welt hinzuschleppen, feierlich wälz ich dir hier die größte gräßlichste Hälfte zu, wie du damit zurechtkommen magst, siehe du selber. Zu Luisen ihn hinführend. Hier Barbar! weide dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht ist mit Verzerrungen dein Name geschrieben, und die Würgengel werden ihn lesen – Eine Gestalt, wie diese, ziehe den Vorhang von deinem Bette, wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand – Eine Gestalt, wie diese, stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein letztes Gebet weg. – Eine Gestalt, wie diese, stehe auf deinem Grabe, wenn du auferstehst – und neben Gott, wenn er dich richtet. Er wird ohnmächtig, Bediente halten ihn.

PRÄSIDENT eine schreckliche Bewegung des Arms gegen den Himmel: Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fordre diese Seelen von diesem! Er geht auf Wurm zu.

Wurm auffahrend: Von mir?

PRÄSIDENT: Verfluchter von dir! Von dir Satan! – Du, du gabst den Schlangenrat – Über dich die Verantwortung – Ich wasche die Hände.

WURM: Über mich? Er fängt gräßlich an zu lachen. Lustig! Lustig! So weiß ich doch nun auch, auf was Art sich die Teufel danken. – Über mich dummer Bösewicht? War es mein Sohn? War ich dein Gebieter? – Über mich die Verantwortung? Ha! bei diesem Anblick, der alles Mark in meinen Gebeinen erkältet! Über mich soll sie kommen! – Jetzt will ich verloren sein, aber du sollst es mit mir sein – Auf! Auf! Ruft Mord durch die Gassen! Weckt die Justiz auf! Gerichtsdiener bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will Geheimnisse aufdecken, daß denen, die sie hören, die Haut schauern soll. Will gehn.

PRÄSIDENT hält ihn: Du wirst doch nicht, Rasender?

WURM klopft ihn auf die Schultern: Ich werde, Kamerad! Ich werde – Rasend bin ich, das ist wahr – das ist dein Werk – so will ich auch jetzt handeln wie ein Rasender – Arm in Arm mit dir zum Blutgerüst! Arm in Arm mit dir zur Hölle! Es soll mich kitzeln, Bube, mit dir verdammt zu sein.

Er wird abgeführt.

MILLER der die ganze Zeit über, den Kopf in Luisens Schoß gesunken, in stummem Schmerze gelegen hat, steht schnell auf und wirft dem Major die Börse vor die Füße: Giftmischer! Behalt dein verfluchtes Gold! – Wolltest du mir mein Kind damit abkaufen?

Er stürzt aus dem Zimmer.

FERDINAND mit brechender Stimme: Geht ihm nach! Er verzweifelt – Das Geld hier soll man ihm retten – Es ist meine fürchterliche Erkenntlichkeit. Luise – Luise – Ich komme – – Lebt wohl – – Laßt mich an diesem Altar verscheiden –

Präsident aus einer dumpfen Betäubung zu seinem Sohn: Sohn, Ferdinand! Soll kein Blick mehr auf einen zerschmetterten Vater fallen?

Der Major wird neben Luisen niedergelassen.

FERDINAND: Gott dem Erbarmenden gehört dieser letzte.

PRÄSIDENT in der schrecklichsten Qual vor ihm niederfallend: Geschöpf und Schöpfer verlassen mich – Soll kein Blick mehr zu meiner letzten Erquickung fallen?

Ferdinand reicht ihm seine sterbende Hand.

PRÄSIDENT steht schnell auf: Er vergab mir! Zu den andern: Jetzt euer Gefangener!

Er geht ab. Gerichtsdiener folgen ihm, der Vorhang fällt.

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