Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 207)
horchte atemlos; bald aber, da die lange Eingangsformel abgelesen war, schoß ihm das Blut zu Häupten, er riß von seiner Brust das Wams zurück, und der schwere Stuhl klappte auf den Boden, daß es in dem weiten Raume widerhallte. Er hatte gehört, was zuvor nur wie ein Fieber ihm durchs Hirn geschossen war: an Geld und Gut zwar kürzte ihn des Vaters Wille kaum, aber Grieshuus, das Stammhaus, war dem jüngeren Bruder zugeschrieben. Der Vorleser hatte innegehalten; er begann aufs neue und brachte es zu Ende. Dann wurde das vom Schreiber geführte Protokoll vollzogen, das die gesetzlich geschehene Publikation beurkunden sollte; auch Junker Hinrich trat heran und unterschrieb, doch mit dem Zusatz: »Unter Vorbehalte meines arg verletzten Rechtes.«
Als er sich schon entfernen wollte, trat der schwarze Herr noch einmal auf ihn zu und überreichte ihm ein versiegelt Schriftstück. »Ich hab Euch zu ersuchen, daß Ihr von diesem Briefe Eueres Herrn Bruders noch hier, in diesem Raume, Kenntnis nehmen möget!«
Die feste Hand des Junkers bebte, als er das Siegel aufriß; aber schon flogen seine Augen über die Schrift des Bruders:
»Den mir zuvor bekannten letzten Willen unseres Vaters«, so lautete der Inhalt, »habe ich, auch so ich es gekonnt hätte, aus gutem Grund nicht hindern wollen, obschon selbiger nicht nur deinen, sondern gleichermaßen meinen Wünschen widersteht; denn jeder hat itzt, was dem andern dienen würde. So du also, nachdem dir solches kundgeworden, in Erkenntnis deiner Pflicht gesonnen wärest, dich des geringen Mädchens zu entledigen, so daß ich unseres Hauses Ehre ungefährdet wüßte, dann komme in den nächsten Wochen zu mir auf Schloß Gottorf, und wir werden unseres Erbes Tausch mit Glimpf vollziehen können. Solltest du aber, wovon ein Hall zu mir gedrungen, in teufelischer Verblendung bereits den Ehebund mit jenem Weibe eingegangen sein, so werd ich dir die Wege weisen, dich ihrer dennoch abzutun, und soll zu solchem dir meine brüderliche Hülfe nicht entstehen.«
Der andere stand noch immer vor dem Junker, der auf das Schriftstück starrte, als ob er mit den Augen es durchbohren müßte. »Wollet mir Urlaub geben«, sprach er; »was Antwort soll ich Euerem Bruder melden?«
Herr Hinrich schien ihn nicht zu hören.
Und wieder nach einer Weile: »Meine Zeit ist kurz«, begann er; »darf ich um Euere Antwort bitten?«
Da fuhr der Junker auf: »Hier ist sie!« schrie er und warf den Brief in Fetzen unter seine Füße. »Ihr aber, so Ihr wußtet, was Ihr mir gebracht, so seid Ihr einen Schurkenweg gegangen!«
Und mit starken Schritten ging er aus dem Saale und war schon drunten aus dem Haustor, als des andern Hand nach seinem Schwerte fuhr.
Aber der Rappe mußte es fühlen, was auf dem Rückweg in dem Reiter tobte; und als Herr Hinrich vor seinem Hause aus dem Sattel sprang, da drohte ihm Frau Bärbe mit dem Finger: »Das arme Tier! Hattst du denn solche Unrast, zu deinem Weibe wieder heimzukommen?« Er aber legte schweigend seinen Arm um ihre Hüfte und führte sie ins Haus zurück; und als er eine Weile finster dagesessen, berichtete er nur eines, daß ihm Grieshuus im Testamente