Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 242)

hingezogen. Die Tante ist mit ihm dahingegangen; der Vetter aber hatte inzwischen wieder Muth gewonnen, er ging zu einem anderen Vetter, bei welchem er sich auch hier im Land zu nähren dachte. »Ehrwürden«, sagte er mir bei seinem Abschied, »wir wären alle hier geblieben, wäre ich in jener Nacht auf Grieshuus statt auf dem Meierhof gewesen!« – Sie sind wohl itzo alle nicht mehr hienieden; denn außer zween Schreiben des Herrn Obersten, bald nach ihrem Abgang, habe ich von keinem etwas mehr vernommen.

Nach dem Begräbnisse aber war das Gerede von den schlimmen Tagen wieder aufgekommen: der Nachtspuk des Erschlagenen habe dem Junker Hinrich nun doch das Genick gebrochen und also ihn und sein Geschlecht vernichtet. Ich aber sage heut wie vormals: Das sind nugae, und es passet nicht zu des Allweisen Güte; das Pferd wird vor dem hellen Stein gescheuet haben, und so ein altes Leben findet bald ein Ende. Doch will ich eines nicht verschweigen.

Am Tage nach der Beisetzung ist ein Bauer auf den Hof gekommen, der hat die Falada am Stricke hinter sich gezogen und gefraget, ob das Thier nicht hier zu Haus gehöre. Eine Meile unterhalb der Brücke habe es am Fluß gestanden, mit gesenktem Kopfe in das Wasser schauend, gleich als wenn es sich besinne und sich nicht einig werden könne, ob es hinüberschwimmen solle oder nicht; aber da er näher gegangen, sei es noch immer so gestanden und habe auch weder um- noch aufgeschauet; der Nachtmar oder sonst was müsse es geritten haben.

Die Knechte kamen und auch der Herr und besahen das Pferd, das sich nicht rührete, und sagten, ja, das sei freilich die Falada, aber es sei vordem ein feueriges und gar kluges Thier gewesen.

Und da es erschrecklich mager war, meineten sie, es müsse nur erst wieder Kräfte sammeln, und führeten es in den Stall, wo es lange Zeit mit Fürsicht gut gefüttert wurde. Aber es blieb dasselbe noch nach Wochen, auch nach Monden; denn die schöne, feuerige Falada war hintersinnig worden und zu keinem Ding auf Erden noch was nütze. Da hat der Oberst sich erbarmet und ihr selbst die Kugel durch den Kopf geschossen.

Die alte Matten hatte ich in mein Haus genommen, und da ich sie eines mondhellen Abends holete, ist sie, wie sie mir sagte, gern mit mir gegangen. Als wir auf dem Steige über dem Kirchhofe wanderten, nickte sie nur nach der Kapellenmauer und murmelte wie für sich selber: »Gute Nacht, ihr Christenseelen alle! Gute Nacht auch, Junker Hinrich, und du, kleiner Rolf! Bei Gott ist Rath und That!«

Und ein paar Jahre hat sie dann noch in Frieden unter meinem Dache gelebt.

In dieser Zeit aber ist aus dem großen Unglück der vornehmen Leute mein allergrößtes Glück erwachsen; denn Abel ist mein ehelich Weib geworden und eure Mutter, du, mein Caspar, und du, meine Maria! Manchen holden Tag hat sie mir gemacht, und die Frommen haben sie geliebt; aber den »König Enzio« hat sie nimmer doch vergessen können. Da haben wir unsere Liebe für den Todten zusammengethan und die weißen und die rothen Rosen an der Mauer seiner Gruft gepflanzt und allezeit gepfleget. Und fast ein Menschenleben hat der Allgütige mir mein Glück gelassen; itzt ruhet auch sie unter Rosen, die meine Hand allein gepflanzet. Es ist geworden, wie einst Matten sagte: ich habe alle überlebt. Und nicht nur die Menschen; denn Grieshuus ist abgebrochen worden, nur noch Mauertrümmer ragen aus der Erde; die Wälder werden Jahr für Jahr geschlagen, daß bis in unser Dorf hinunter der Sturz der Rieseneichen schallet. So ist es, wie der Dichter singt:

Auf Erden stehet nichts, es muß vorüberfliegen;

Es kommt der Tod daher, du kannst ihn nicht besiegen.

Ein Weilchen weiß vielleicht noch wer, was du gewesen;

Dann wird das weggekehrt, und weiter fegt der Besen.

Seiten