Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 241)

ihr sahet ihn nicht, und da er kam als ein Dienender, habet ihr ihn nicht erkannt; unstät und flüchtig blieb er nach dem Fluch der Schrift ein langes Leben durch; denn seinen Zwillingsbruder hatte er im jähen Zorn erschlagen. Aber nicht wie Kain den Abel: der Bruder hatte ihm sein Glück, sein junges Weib, getödtet; und da zwang er ihn zum Kampf und erschlug ihn.« Und der Oberst legte die Faust auf seine Brust, daß die Spangen an dem Degenriemen klirrten: »Beim ewigen Gott! ich hätt ihn auch erschlagen!«

Nach einer Pause sprach er dann noch einmal: »Das habe ich euch sagen müssen, um der Ehre des Todten und um der Wahrheit willen. – Und nun, ihr Alten, die ihr mit ihm jung gewesen, sehet ihn noch einmal an, ob ihr den Junker Hinrich von Grieshuus erkennen möchtet! Und fürchtet euch nicht, denn in seinem Angesicht ist Frieden.«

Da lösete sich eine Reihe alter Leute aus dem Haufen, und sie traten langsam, gar einige auf Krücken oder von einem Kinde geführet, zu dem Sarge und blickten gierig und doch mit Scheu in des Todten Angesicht, das auf all ihr Schauen keine Miene regete. Bald aber erhob sich eine oder die andere Hand und strich liebkosend über das Leichenhemde oder gar an die Wange des Leichnams selber, und ich hörete: »Ach ja, der Junker! Unser Junker Hinrich!« Eine Stimme aber rief laut: »Mein Herr! mein guter Herr! Nun hast du deine Bärbe wieder!« Das war der alte Hans Christoph aus dem Dorfe.

Der Oberst hatte sich zu seinem Sohn gewendet; er faßte das schöne, todte Haupt in seine Hände und küßte es zu vielen Malen. »Rolf«, sprach er leise; »mein Kind, mein Kind! Vor den Wölfen hat er dich bewahren können; der Wille Gottes ist für ihn zu stark gewesen!«

Die alte Matten stand auf ihren Stock gelehnet und horchete und hielt die Hand ans Ohr und nickte dann, als ob nun alles gut sei. Es war eine rechte Todtenstille geworden, die alten Leute lagen schweigend am Sarge ihres alten Herrn.

»Und nun gehet hinaus«, sprach der Oberst wieder, »und lasset mich ein Weilchen noch bei unseren Todten; dann wollen wir die Letzten ihres Stammes in der Gruft zur Ruhe setzen.«

Abel mit ihrem dunklen und doch bleichen Antlitz stand zu Häupten an des Junkers Sarge; als auch sie hinaus wollte, faßte der Oberst ihre Hand: »Nein, bleibe, Kind; und auch Er, Magister; denn die Stütze meines Lebens ist gefallen.«

Die Todten waren beigesetzet, und als hernach die kupfernen Kisten kamen, in welche ihre Särge eingesenket wurden, da ließ der Oberst die Kapellengruft vermauern, wie sie noch itzo ist. Ihn selbst aber hatte die Sippe seines Weibes vor Gericht gezogen; denn es war unerweisbar, wer zuerst gestorben, ob der Junker Hinrich, ob sein Enkel Rolf; war es der letztere, so hatte dessen Vater kein Erbrecht, weder an Grieshuus noch an den Meierhof. Da es aber bei unterschiedlichen Gerichten gelegen, haben sie endlich sich zu gütlichem Ausgleich hergelassen, und der Oberst hat den Hof gelassen und ist nach Stockholm

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