Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 26)
aber trotz dessen nach wie vor auch an der Deichgrafschaft mitgeholfen.
Nach einem andern Jahr aber begann er gegen Elke davon zu reden, sein Vater werde kümmerlich, und die paar Tage, die der Wirt ihn im Sommer in dessen Wirtschaft lasse, täten's nun nicht mehr; der Alte quäle sich, er dürfe das nicht länger ansehen. – Es war ein Sommerabend; die beiden standen im Dämmerschein unter der großen Esche vor der Haustür. Das Mädchen sah eine Weile stumm in die Zweige des Baumes hinauf; dann entgegnete sie: ›Ich hab's nicht sagen wollen, Hauke; ich dachte, du würdest selber wohl das Rechte treffen.‹
›Ich muß dann fort aus eurem Hause‹, sagte er, ›und kann nicht wiederkommen.‹
Sie schwiegen eine Weile und sahen in das Abendrot, das drüben hinterm Deiche in das Meer versank. ›Du mußt es wissen‹, sagte sie; ›ich war heut morgen noch bei deinem Vater und fand ihn in seinem Lehnstuhl eingeschlafen; die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit einer halben Zeichnung lag vor ihm auf dem Tisch; – und da er erwacht war und mühsam ein Viertelstündchen mit mir geplaudert hatte, und ich nun gehen wollte, da hielt er mich so angstvoll an der Hand zurück, als fürchte er, es sei zum letztenmal; aber …‹
›Was aber, Elke?‹ frug Hauke, da sie fortzufahren zögerte.
Ein paar Tränen rannen über die Wangen des Mädchens. ›Ich dachte nur an meinen Vater‹, sagte sie; ›glaub mir, es wird ihm schwer ankommen, dich zu missen.‹ Und als ob sie zu dem Worte sich mannen müsse, fügte sie hinzu: ›Mir ist es oft, als ob auch er auf seine Totenkammer rüste.‹
Hauke antwortete nicht; ihm war es plötzlich, als rühre sich der Ring in seiner Tasche; aber noch bevor er seinen Unmut über diese unwillkürliche Lebensregung unterdrückt hatte, fuhr Elke fort: ›Nein, zürn nicht, Hauke! Ich trau, du wirst auch so uns nicht verlassen!‹
Da ergriff er eifrig ihre Hand, und sie entzog sie ihm nicht. Noch eine Weile standen die jungen Menschen in dem sinkenden Dunkel beieinander, bis ihre Hände auseinander glitten und jedes seine Wege ging. – Ein Windstoß fuhr empor und rauschte durch die Eschenblätter und machte die Läden klappern, die an der Vorderseite des Hauses waren; allmählich aber kam die Nacht, und Stille lag über der ungeheueren Ebene.
Durch Elkes Zutun war Hauke von dem alten Deichgrafen seines Dienstes entlassen worden, obgleich er ihm rechtzeitig nicht gekündigt hatte, und zwei neue Knechte waren jetzt im Hause. – Noch ein paar Monate weiter, dann starb Tede Haien; aber bevor er starb, rief er den Sohn an seine Lagerstatt: ›Setz dich zu mir, mein Kind‹, sagte der Alte mit matter Stimme, ›dicht zu mir! Du brauchst dich nicht zu fürchten; wer bei mir ist, das ist nur der dunkle Engel des Herrn, der mich zu rufen kommt.‹
Und der erschütterte Sohn setzte sich dicht an das dunkle Wandbett: ›Sprecht, Vater, was Ihr noch zu sagen habt!‹
›Ja, mein Sohn, noch etwas‹, sagte der Alte und streckte seine Hände über das Deckbett. ›Als du, noch ein halber Junge, zu dem Deichgrafen