Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 30)

eines näheren Verwandten, daß sie ihre Plätze nebeneinander fanden. Nur ein Lächeln, das über beider Antlitz glitt, verriet ihre Freude darüber. Aber Elke saß heute teilnahmslos in dem Geräusche des Plauderns und Gläserklirrens.

›Fehlt dir etwas?‹ frug Hauke.

– ›O, eigentlich nichts; es sind mir nur zu viele Menschen hier.‹

›Aber du siehst so traurig aus!‹

Sie schüttelte den Kopf; dann sprachen sie wieder nicht.

Da stieg es über ihr Schweigen wie Eifersucht in ihm auf, und heimlich unter dem überhängenden Tischtuch ergriff er ihre Hand; aber sie zuckte nicht, sie schloß sich wie vertrauensvoll um seine. Hatte ein Gefühl der Verlassenheit sie befallen, da ihre Augen täglich auf der hinfälligen Gestalt des Vaters haften mußten? – Hauke dachte nicht daran, sich so zu fragen; aber ihm stand der Atem still, als er jetzt seinen Goldring aus der Tasche zog. ›Läßt du ihn sitzen?‹ frug er zitternd, während er den Ring auf den Goldfinger der schmalen Hand schob.

Gegenüber am Tisch saß die Frau Pastorin; sie legte plötzlich ihre Gabel hin und wandte sich zu ihrem Nachbar: ›Mein Gott, das Mädchen!‹ rief sie; ›sie wird ja totenblaß!‹

Aber das Blut kehrte schon zurück in Elkes Antlitz. ›Kannst du warten, Hauke?‹ frug sie leise.

Der kluge Friese besann sich doch noch ein paar Augenblicke. ›Auf was?‹ sagte er dann.

›Du weißt das wohl; ich brauch dir's nicht zu sagen.‹

›Du hast recht‹, sagte er; ›ja, Elke, ich kann warten – wenn's nur ein menschlich Absehn hat!‹

›O Gott, ich fürcht, ein nahes! Sprich nicht so, Hauke; du sprichst von meines Vaters Tod!‹ Sie legte die andere Hand auf ihre Brust: ›Bis dahin‹, sagte sie, ›trag ich den Goldring hier; du sollst nicht fürchten, daß du bei meiner Lebzeit ihn zurückbekommst!‹

Da lächelten sie beide, und ihre Hände preßten sich ineinander, daß bei anderer Gelegenheit das Mädchen wohl laut aufgeschrieen hätte.

Die Frau Pastorin hatte indessen unablässig nach Elkes Augen hingesehen, die jetzt unter dem Spitzenstrich des goldbrokatenen Käppchens wie in dunklem Feuer brannten. Bei dem zunehmenden Getöse am Tische aber hatte sie nichts verstanden; auch an ihren Nachbar wandte sie sich nicht wieder, denn keimende Ehen – und um eine solch schien es ihr sich denn doch hier zu handeln – schon um des daneben keimenden Traupfennigs für ihren Mann, den Pastor, pflegte sie nicht zu stören.

Elkes Vorahnung war in Erfüllung gegangen; eines Morgens nach Ostern hatte man den Deichgrafen Tede Volkerts tot in seinem Bett gefunden; man sah's an seinem Antlitz, ein ruhiges Ende war darauf geschrieben. Er hatte auch mehrfach in den letzten Monden Lebensüberdruß geäußert; sein Leibgericht, der Ofenbraten, selbst seine Enten hatten ihm nicht mehr schmecken wollen.

Und nun gab es eine große Leiche im Dorf. Droben auf der Geest auf dem Begräbnisplatz um die Kirche war zu Westen eine mit Schmiedegitter umhegte Grabstätte; ein breiter, blauer Grabstein stand jetzt aufgehoben gegen eine Traueresche, auf welchem das Bild des Todes mit stark gezahnten Kiefern ausgehauen war; darunter in großen Buchstaben:

Dat is de Dot, de Allens fritt,

Nimmt Kunst un Wetenschop di mit;

De kloke Mann is nu vergan,

Gott gäw em selik Uperstan.

Es war

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