Literaturepoche Barock (Seite 4)

Das Barockzeitalter lebt von ständiger Antithese, und so gehört zur düsteren Grabesthematik die Beschreibung des drallen Lebens, zu ihr aber wiederum ihre Ironisierung und der Spott über diejenigen, die – Sklaven ihrer Begierden – dem irdischen Glück nachjagen. Grimmelshausens Simplicissimus, dieses monumentale Sittengemälde der Jahrhundertmitte, enthält aus dem naiven Blickwinkel des Titelhelden mehr als eine scharfe Satire auf das Gebaren der Zeitgenossen; Gryphius' Komödien Absurda comica oder Peter Squenz (1644/57) und Horribilicribrifax oder wehlende Liebhaber (1663) führen im bunten Treiben der Welt die Lächerlichkeit der Dünkelhaften, von sich Eingenommenen und Eitlen wirkungsvoll vor.

Aber das Verkehrte und Maßlose ist auch ein Merkmal vieler Barockwerke selbst. Der übersteigerte Formwille führte zur Überladung mit Metaphern, die immer kühner und weithergeholter wurden, der Gehalt wurde zugunsten des Effekts oft vernachlässigt. Schwulst: dieser Begriff bezeichnete schon seit Ende des 17. Jahrhunderts die literarischen Erzeugnisse der sogenannten 2. Schlesischen Schule (als deren Hauptvertreter Daniel Casper von Lohenstein und Christian Hofmann von Hofmannswaldau gelten) und des spätbarocken Manierismus im allgemeinen und wurde bald zum negativen Stempel für die gesamte Epoche. Dabei gelten vor allem die Epigonen der beiden Genannten aus heutiger Sicht noch als 'schwülstig' im Sinne von 'artifiziell und leer', während die literarische Qualität sowohl des Dramatikers Lohenstein wie des Marinisten Hofmannswaldau (nach Giambattista Marini) in unseren Tagen durchaus gewürdigt wird.

Hierin spiegelt sich die Rezeptionsgeschichte der deutschen Barockliteratur, die mit Einsetzen der Aufklärung in Bausch und Bogen für minderwertig erklärt wurde und nur sehr zögerlich eine Rehabilitierung erfuhr. Auch die Literaturwissenschaft hat das 17. Jahrhundert sehr lange als Stiefkind behandelt, bis in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts eine breite Beschäftigung mit der Literatur des Barocks begann.

Gerade die Unausgeglichenheit, der Kontrastreichtum, die Neigung zum Extremen legen in vielen Aspekten eine Affinität der Barockzeit zu unseren Tagen nahe. Mögen Monstrositäten wie die von gelehrten Einschüben durchsetzten, überdimensionierten Romane Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig, Daniel Casper von Lohensteins und Philipp von Zesens heute ebenso belächelt werden wie die Neuerungswut mancher Sprachgesellschafter, die etwa für Fenster »Tagleuchter«, für Fieber »Zittersucht« und andere Wunderlichkeiten mehr vorschlugen – die Modernität vieler Aspekte der Barockliteratur läßt sich nicht leugnen.

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