Literaturepoche Jahrhundertwende (Seite 3)

Noch umfassender war der Ansatz zweier Dichter, die ohne weiteres als 'Kosmiker' bezeichnet werden können. Alfred Mombert strebte in seiner Lyrik (Die Schöpfung, 1897, Die Blüte des Chaos, 1905, Der himmlische Zecher, 1909) eine visionäre, sprachlich-musikalische Verschmelzung von Religion, Geschichte und Philosophie an, in der lyrisch konzipierten Dramentrilogie Äon (1907/11) entfaltete er die Geschichte der Welt als Mythos vom Genius der Menschheit. Eine eigene Version der Schöpfung erdichtete ebenfalls Theodor Däubler in seinem gigantischen Versepos Das Nordlicht (1910/21), welches aus dem Gegensatz von Erde und Sternen entsteht und zugleich Sinnbild der durch das All strahlenden Liebe ist. Auch der als Dramatiker und Theoretiker des Naturalismus hervorgetretene Arno Holz schrieb mit Phantasus, das er im Laufe der Jahre in immer neuen Fassungen von einem kurzen Gedicht zu einem monumentalen Opus erweiterte, eine Art poetischer Geschichte des Universums, deren letzte Zeile auch symbolisch für die Bedeutung dieses durch und durch Modernen gelesen werden kann: »Mein Staub zerstob, wie ein Stern strahlt mein Gedächtnis«.

Alle Tendenzen, die sich in der Lyrik der Jahrhundertwende erkennen lassen – Aufbruchstimmung, Wille zur Erneuerung, Betonung von Form und Ornament, Erotik und Exotik, Hinwendung zum Universum, Grenzüberschreitung, existenzielle Problematik – finden sich in Prosa und Drama dieser Zeit wieder.

Den kosmischen Tendenzen durchaus nahe stand Paul Scheerbart, doch sind seine phantastische Erzählungen und Romane (z. B. Lesabéndio) bereits ein ironisch-groteskes Spiel mit dem Überdimensionierten. Phantastische Elemente und Ironie enthält auch die Kurzprosa Robert Walsers, der sich vor allem in diesem Genre (er schrieb auch Romane, darunter, als bedeutendsten, Der Gehülfe, 1908) als Meister erwies. Es handelt sich um kafkaeske Miniaturen von hintergründiger Boshaftigkeit, in denen illusionslos eine Welt gezeichnet wird, die von der Unmöglichkeit echter Kommunikation und der Absurdität alles Tuns bestimmt ist.

Bestechend ist dabei aber auch die Tiefe der psychologischen Beobachtungsgabe Walsers, die derjenigen seines (Vor-)Namensvetters gleichzustellen ist. Robert Musil, der in den 30er Jahren in seinem großen Roman Der Mann ohne Eigenschaften die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg einer ebenso vielschichtigen wie gnadenlosen Analyse unterzog, hinterließ mit der Erzählung Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) das präzise, erschütternde Psychogramm eines von den Nöten der Pubertät überwältigten Menschen. Ähnliche Dichte bei der poetischen Durchdringung einer seelischen Katastrophe war nur noch Gerhart Hauptmann mit der Novelle Bahnwärter Thiel (1887) gelungen.

Seiten