Literaturepoche Klassik (Seite 3)

Auch Schillers Interesse hatte sich immer mehr der antiken, hellenischen Welt zugewandt, die – wiederum vom Konzept Winckelmanns ausgehend – seinem mythischen Weltbild, in dessen Zentrum der Mensch als moralisch-ästhetische Existenz steht, einen konkreten, sinngebenden Rahmen bot.

Am 20. Juli 1794 kam in Jena das entscheidende Treffen zwischen Goethe und Schiller zustande, die sich bis dahin eher distanziert zueinader verhalten hatten. Nun fand sich »eine unerwartete Übereinstimmung, die um so interessanter war, weil sie wirklich aus der größten Verschiedenheit der Gesichtspunkte hervorging. Ein jeder konnte dem anderen etwas geben, was ihm fehlte, und etwas dafür empfangen« (Schiller an Körner). 1795 erschien Schillers Aufsatz Über naive und sentimentalische Kunst, in dem er die antike Poesie der Griechen als naturempfindend in Gegensatz zur Dichtung späterer Zeiten setzte: diese sucht die Natur und stellt Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar, sondern im Verhältnis zum Ideal dar. Mit dieser Definition von realistischem und idealistischem Dichtertum brachte er zugleich den Unterschied zwischen Goethes und seiner eigenen Auffassung auf den Punkt.

Nun begann die Zeit, in der sich die beiden Dichterfürsten trotz – oder gerade dank – ihres unterschiedlichen Temperaments und der differierenden Ausgangspositionen gegenseitig anregten und einen Großteil der Werke schufen, die bis heute das Attribut klassisch für sich in Anspruch nehmen können. Unmittelbares Ergebnis der Zusammenarbeit waren die Zeitschriften Die Horen, Die Propyläen und der Musenalmanach, die zu Organen der klassischen Kunst- und Literaturprogrammatik wurden. Eine echte Koproduktion waren die Xenien (1796), fast tausend bissig-ironische 'Gastgeschenke', die sich provokativ mit einzelnen Personen und Werken der Zeit auseinandersetzten und sowohl persönliche Gegner als auch gesellschaftliche Mißstände, Verirrungen in Kunst und Wissenschaft sowie literarische Plattheiten aufs Korn nahmen.

Vom gegenseitigen Gedankenaustausch beflügelt, konnte der eine wie der andere jetzt die individuelle Produktion in allen literarischen Gattungen zur Entfaltung bringen. Im »Balladenjahr« 1797 schrieb Goethe Der Zauberlehrling, Der Gott und die Bajadere sowie Die Braut von Korinth, Schiller Der Taucher, Der Ring des Polykrates, Der Handschuh, Die Kraniche des Ibykus, und ein Jahr später Die Bürgschaft. Auch des letzteren Ideenlyrik, die mit dem Gedicht Die Ideale (1796) ihren Ausgang nahm, fand in den nächsten Jahren ihre Vollendung mit Das Ideal und das Leben, Der Spaziergang, Nänie und Das Lied von der Glocke.

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