Literaturepoche Nachkriegsliteratur (1945-1968) (Seite 3)

Die zentrale Figur der Gruppe 47 aber war Heinrich Böll, der ihr als Gründungsmitglied bis zu ihrer Auflösung 1967 angehörte und bereits 1951 für seine Satire Die schwarzen Schafe den Preis der Gruppe erhielt. 1972 wurde er dann als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Bundesrepublik mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Wie kein anderer Schriftsteller verkörperte Böll in den 50er Jahren das Gewissen der Republik und schuf mit seinem Werk eine Art Gegengewicht zur restaurativen Atmosphäre der Adenauer-Zeit. Er kritisierte die kollektive Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit und die wachsende Selbstzufriedenheit angesichts des Wirtschaftswunders im Westteil Deutschlands. Seine in dieser Zeit publizierten Texte erzählen in realistischer, bewusst nicht poetisierender oder artifizieller Weise von „einfachen Leuten“, deren Schicksal durch die Kriegs- und Nachkriegszeit bestimmt und erschwert wird. So handelt der Roman Wo warst du, Adam? (1951) episodenhaft von der Heimkehr eines Soldaten von der russischen Front; und Haus ohne Hüter (1954) beschreibt die Situation zweier Nachkriegsfamilien, die auf unterschiedliche Weisen versuchen, mit dem Verlust der im Krieg gefallenen Väter umzugehen. Wie sehr die Zeit des „Dritten Reiches“ die Gesellschafts- und Familienstrukturen der bundesrepublikanischen (Alltags-)Wirklichkeit der 50er Jahre mehr oder weniger subtil durchdrang, führt Böll besonders eindrücklich in seinem Roman Billard um halbzehn (1959) vor Augen: Während der Vorbereitungen zur Geburtstagsfeier des Architekten und Familienoberhaupts Heinrich Fähmel drängen die Schatten der Vergangenheit unaufhaltsam an die Oberfläche der scheinbaren Familienharmonie. Die politischen und persönlichen Verstrickungen einzelner Familienmitglieder werden peu à peu aufgedeckt und gipfeln schließlich in einem Anschlag: Mutter Fähmel schießt auf einen früheren Nazi, der es auch in der jungen Bundesrepublik zu Ansehen und politischem Einfluss gebracht hat.

Ähnlich wie Böll – allerdings auf einem so hohen ästhetischen Niveau, dass sein Werk einen entscheidenden Beitrag zur Modernisierung der westdeutschen Literatur leistete – beschrieb auch Wolfgang Koeppen die Nachkriegsgesellschaft vor dem Hintergrund der jüngsten Vergangenheit. Mit seinen drei in den 50er Jahren erschienenen Romanen, der Trilogie des Scheiterns, gab er eine erste kritische Bestandsaufnahme der sich gerade formierenden Bundesrepublik. Der erste Roman dieser Trilogie, Tauben im Gras (1951), erzählt von einem einzigen Tag im München der Nachkriegszeit. Ohne erkennbaren dramatischen Aufbau und Zusammenhang, werden – gleichsam ungefiltert – Alltagserlebnisse und -beobachtungen verschiedener Figuren geschildert, bis sich aus den einzelnen Puzzleteilen allmählich ein Gesamtbild zusammenfügt. Unverkennbar ist hier der Einfluss von James Joyce’ Ulysses. Die zwei anderen Romane der Trilogie folgen einer ähnlichen Erzähltechnik, setzen aber deutlichere politische Akzente. So behandelt Das Treibhaus (1953) erstmals kritisch den Politikbetrieb der jungen Bundesrepublik: Erzählt wird vom Schicksal des Bundestagsabgeordneten Keetenheuve, der aus der Emigration nach Deutschland zurückgekehrt ist und als Intellektueller im „Treibhaus“ Bonn mit dessen politischen Intrigen und Machtspielen keine Heimat findet; aus Verzweiflung über die herrschenden Verhältnisse wählt er schließlich den Freitod. Mit seinem dritten Roman, Der Tod in Rom (1954), der sich in so kritischer wie ästhetisch gekonnter Weise mit den Karrieren ehemaliger Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt, schließt Koeppen seine Trilogie des Scheiterns ab – und wird bis zu seinem Tod im Jahre 1996 keinen weiteren Roman mehr schreiben.

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