Ungekürztes Werk "Leonce und Lena" von Georg Büchner (Seite 16)

I. ACT

O wär' ich doch ein Narr!

Mein Ehrgeiz geht auf eine bunte Jacke.

Wie es Euch gefällt.

I. SCENE

Ein Garten

Der Prinz halb rubend auf einer Bank, der Hofmeister.

PRINZ. Mein Herr, was wollen Sie von mir? Mich auf meinen Beruf vorbereiten? Ich habe alle Hände voll zu thun, ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. – Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundert fünf und sechzig mal hintereinander zu spucken. Haben Sie das noch nicht probirt? Thun Sie es, es gewährt eine ganz eigne Unterhaltung. Dann – sehen Sie dieße Hand voll Sand? – er nimmt Sand auf, wirft ihn in die Höbe und fängt ihn mit dem Rücken der Hand wieder auf – jezt werf' ich sie in die Höhe. Wollen wir wetten? Wieviel Körnchen hab' ich jezt auf dem Handrücken? Grad oder ungrad? – Wie? Sie wollen nicht wetten? Sind Sie ein Heide? Glauben Sie an Gott? Ich wette gewöhnlich mit mir selbst und kann es tagelang so treiben. Wenn Sie einen Menschen aufzutreiben wissen, der Lust hätte als mit mir zu wetten, so werden Sie mich sehr verbinden. Dann – habe ich nachzudenken, wie es wohl angehn mag, daß ich mir auf den Kopf sehe. – O wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Das ist eins von meinen Idealen. Mir wäre geholfen. Und dann – und dann noch unendlich Viel der Art. – Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich jezt keine Beschäftigung? – Ja es ist traurig …

HOFMEISTER. Sehr traurig, Euer Hoheit.

PRINZ. Daß die Wolken schon seit 3 Wochen von Westen nach Osten ziehen. Es macht mich ganz melancholisch.

HOFMEISTER. Eine sehr gegründete Melancholie.

PRINZ. Mensch, warum widersprechen Sie mir nicht? Sie sind pressirt, nicht wahr? Es ist mir leid, daß ich Sie so lange aufgehalten habe. Der Hofmeister entfernt sich mit einer tiefen Verbeugung. Mein Herr, ich gratulire Ihnen zu der schönen Parenthese, die Ihre Beine machen, wenn Sie sich verbeugen.

PRINZ allein, streckt sich auf der Bank aus. Die Bienen sitzen so träg an den Blumen und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden. Es krassirt ein entsetzlicher Müßiggang. – Müßiggang ist aller Laster Anfang. – Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben, sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheurathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile und – und das ist der Humor davon – Alles mit den ernsthaftesten Gesichtern, ohne zu merken warum und meinen Gott weiß was dabey. Alle dieße Helden, dieße Genies, dieße Dummköpfe, dieße Sünder, dieße Heiligen, dieße Familienväter sind im Grunde nichts als raffinirte Müßiggänger. – Warum muß ich es grade wissen? Ich bin ein elender Spaßmacher. Warum kann ich meinen Spaß nicht auch mit einem ernsthaften Gesicht vorbringen? – Der Mann, der eben von mir gieng, ich beneidete ihn, ich hätte ihn aus Neid prügeln mögen. O, wer einmal jemand Anders seyn könnte! Nur 'ne Minute lang.

Valerio, halb trunken, kommt gelaufen.

PRINZ faßt ihn am Arm. Kerl, du kannst laufen? Mein Gott, wenn ich nur etwas unter der Sonne wüßte, was mich noch könnte laufen machen.

VALERIO legt den Finger an die Nase und sieht ihn starr an. Ja!

PRINZ eben so. Richtig!

VALERIO. Haben Sie mich begriffen?

PRINZ. Vollkommen.

VALERIO. Nun so wollen wir von etwas Anderm reden. – Ich werde mich indessen in das Gras legen und meine Nase oben zwischen den Halmen herausblühen lassen und romantische Empfindungen beziehen, wenn die Bienen und Schmetterlinge sich darauf wiegen, wie auf einer Rose.

PRINZ. Aber Bester, schnaufen Sie nicht so stark, oder die Bienen und Schmetterlinge müssen verhungern über den ungeheuren Prisen, die Sie aus den Blumen ziehen.

VALERIO. Ach, Herr, was ich ein Gefühl für die Natur habe. Das Gras stehet so schön, daß man ein Ochs seyn möchte, um es fressen zu können, und dann wieder ein Mensch, um den Ochsen zu fressen, der solches Gras gefressen.

PRINZ. Unglücklicher, Sie scheinen auch an Idealen zu laboriren.

VALERIO. O Gott! ich laufe schon seit 8 Tagen einem Ideal von Rindfleisch nach, ohne es irgendwo in der Realität anzutreffen. er singt:

Frau Wirthin hat 'ne brave Magd,

Sie sitzt im Garten Tag und Nacht.

Sie sitzt in ihrem Garten

Bis daß das Glöcklein zwölfe schlägt

Und paßt auf die Solda-a-ten.

Er setzt sieh auf den Boden. Seht dieße Ameisen, liebe Kinder, es ist bewundernswürdig welcher Instinkt in dießen kleinen Geschöpfen, Ordnung, Fleiß – Herr, es giebt nur vier Arten, sein Geld auf eine menschliche Weise zu verdienen, es finden, in der Lotterie gewinnen, erben oder in Gottes Namen stehlen, wenn man die Geschicklichkeit hat keine Gewissensbisse zu bekommen.

PRINZ. Du bist mit dießen Principien ziemlich alt geworden ohne vor Hunger oder am Galgen zu sterben.

VALERIO ihn immer ansehend. Ja Herr, und das behaupte ich, wer sein Geld auf eine andere Art erwirbt ist ein Schuft.

PRINZ. Denn wer arbeitet ist ein subtiler Selbstmörder, und ein Selbstmörder ist ein Verbrecher und ein Verbrecher ist ein Schuft, also, wer arbeitet ist ein Schuft.

VALERIO. Ja. – Aber dennoch sind die Ameisen ein sehr nützliches Ungeziefer und doch sind sie wieder nicht so nützlich, als wenn sie gar keinen Schaden thäten. Nichts destoweniger, werthestes Ungeziefer, kann ich mir nicht das Vergnügen versagen einigen von Ihnen mit der Ferse auf den Hintern zu schlagen, die Nasen zu putzen und die Nägel zu schneiden.

Zwei Polizeydiener treten auf.

1. POLIZ. Halt, wo ist der Kerl?

2. POL. Da sind zwei.

1. P. Sieh einmal ob Keiner davon läuft?

2. P. Ich glaube es läuft Keiner.

1. P. So müssen wir sie Beyde inquiriren. – Meine Herren, wir suchen Jemand, ein Subject, ein Individuum, eine Person, einen Delinquenten, einen Inquisiten, einen Kerl. Zu dem andern Pol. Sieh einmal, wird Keiner roth?

2. P. Es ist Keiner roth geworden.

1. P. So müssen wir es anders probiren. – Wo ist der Steckbrief, das Signalement, das Certificat? 2. Pol. zieht ein Papier aus der Tasche und übbereicht es ihm+I. Visire die Subjecte, ich will lesen: ein Mensch –

2. P. Paßt nicht, es sind zwei.

1. P. Dummkopf! geht auf 2 Füßen, hat zwei Arme, ferner einen Mund, eine Nase, zwei Augen, zwei Ohren. Besondere Kennzeichen: ist ein höchst gefährliches Individuum.

2. P. Das paßt auf Beyde. Soll ich sie Beyde arretiren?

1. P. Zwei, das ist gefährlich wir sind auch nur zwei. Aber ich will einen Rapport machen. Es ist ein Fall von sehr kriminalischer Verwicklung oder sehr verwickelter Kriminalität. Denn wenn ich mich betrinke und mich in mein Bett lege, so ist das meine Sache und geht Niemand was an, wenn ich aber mein Bett vertrinke, so ist das die Sache von wem, Schlingel?

2. P. Ja, ich weiß nicht.

1. P. Ja, ich auch nicht, aber das ist der Punkt. Sie gehen ab.

VALERIO. Da läugne Einer die Vorsehung. Seht, was man nicht mit einem Floh ausrichten kann. Denn wenn es mich nicht heute Nacht überlaufen hätte, so hätte ich nicht den Morgen mein Bett an die Sonne getragen und hätte ich es nicht an die Sonne getragen, so wäre ich nicht damit neben das Wirthshaus zum Mond gerathen und wenn Sonne und Mond es nicht beschienen hätten, so hätte ich aus meinem Strohsack keinen Wein keltern und mich daran betrinken können und wenn das Alles nicht geschehen wäre, so wäre ich jezt nicht in Ihrer Gesellschaft, wertheste Ameisen, und würde von Ihnen scelettirt und von der Sonne ausgetrocknet, sondern würde ein Stück Fleisch tranchiren und eine Bouteille Wein austrocknen – im Spital nemlich.

PRINZ. Ein erbaulicher Lebenslauf.

VALERIO. Ich habe einen läufigen Lebenslauf. Denn nur mein Laufen hat im Lauf dießes Krieges mein Leben vor einem Lauf gerettet, der ein Loch in dasselbe machen wollte. Ich bekam in Folge dießer Rettung eines Menschenlebens einen trocknen Husten, welcher den Doctor annehmen ließ, daß mein Laufen ein Galoppiren geworden sey und ich die galoppirende Auszehrung hätte. Da ich nun zugleich fand, daß ich ohne Zehrung sey, so verfiel ich in oder vielmehr auf ein zehrendes Fieber, worin ich täglich, um dem Vaterland einen Vertheidiger zu erhalten, 5 gute Suppe, gutes Rindfleisch, gutes Brod essen und guten Wein trinken mußte.

PRINZ. Nun Edelster, dein Handwerk, dein métier, deine Profession, dein Gewerbe, dein Stand, deine Kunst?

VALERIO. Herr, ich habe die große Beschäftigung müßig zu gehen, ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtsthun, ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit.

GOUVERNANTE weint. Lieber Engel, du bist ein wahres Opferlamm.

LENA. Ja wohl, und der Priester hebt schon das Messer. – O Gott, ist es denn wahr, daß wir uns selbst erlösen müssen mit unserm Schmerz? Ist es denn wahr die Welt sey ein gekreuzigter Heiland, die Sonne seine Dornenkrone und die Sterne die Nägel und Speere in seinen Füßen und Lenden?

GOUVERNANTE. Mein Kind, mein Kind! ich kann dich nicht so sehen. – Vielleicht, wer weiß. Ich habe so etwas im Kopf. Wir wollen sehen. Komm! sie führt die Prinzessin weg.

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