Ungekürztes Werk "Libertas und ihre Freier" von Joseph von Eichendorff (Seite 18)

immer weiter fort, worüber er aber mit dem Echo, das ihm lauter unvernünftige Antworten gab, in einen ebenso heftigen als fruchtlosen Wortwechsel geriet. Und so hatte er denn von der ganzen großen Unternehmung nichts als ein paar neuer Löcher in seiner alten Wildschur gewonnen und schritt endlich voller Zorn und so eilfertig wieder in den Urwald zurück, daß wir ihm unmöglich weiter nachgehen können.

Wie aber war die Libertas so unverhofft aus ihrem Turme entkommen?

Wir haben schon früher gesehen, daß seit ihrer Gefangenschaft im Pinkusschen Schlosse und Garten die gute alte Zeit wieder repariert und neu vergoldet worden, wo sie durch ihre impertinente Einmischung etwa gelitten hatte. Alles schämte sich pflichtschuldigst der augenblicklichen Verführung und Verwilderung; in der schillernden Mittagsschwüle plätscherten die Wasserkünste wieder wie blödsinnig immerfort in endloser Einförmigkeit; die Statuen sahen die Buchsbäume, die Buchsbäume die Statuen an, und die Sonne vertrieb sich die Zeit damit, auf den Marmorplatten vor dem Schlosse glitzernde Schnörkel und Ringe zu machen; es war zum Sterben langweilig. Libertas hatte daher schon lange nachgedacht, wie sie sich befreien könnte, und sann und sann, bis endlich die Nacht der ganzen Industrie im Schloß das Handwerk gelegt und draußen die Welt ungestört wieder aufatmete. Auch der Schwan auf dem Wallgraben unter dem Turm war nun eingeschlummert, und drüben standen die Wälder im Mondschein. Da trat Libertas an das offene Fenster und sprach:

»Wie rauscht so sacht

Durch alle Wipfel

Die stille Nacht,

Hat Tal und Gipfel

Zur Ruh' gebracht.

Nur in den Bäumen

Die Nachtigall wacht

Und singt, was sie träumen

In der stillen Pracht.«

Die Nachtigall aber antwortete aus dem Fliederbusche unten:

»In der stillen Pracht,

In allen frischen Büschen, Bäumen flüstert's in Träumen

Die ganze Nacht,

Denn über den mondbeglänzten Ländern

Mit langen weißen Gewändern

Ziehen die schlanken

Wolkenfrauen, wie geheime Gedanken,

Senden von den Felsenwänden herab die behenden

Frühlingsgesellen: die hellen Waldquellen,

Um's unten zu bestellen

An die duftigen Tiefen,

Die tun, als ob sie schliefen,

Und wiegen und neigen in verstelltem Schweigen

Sich doch so eigen mit Ähren und Zweigen,

Erzählen's den Winden,

Die durch die blühenden Linden,

Vorüber an den grasenden Rehen

Säuselnd über die Seen gehen,

Daß die Nixen verschlafen auftauchen

Und fragen,

Was sie so lieblich hauchen?

Ich weiß es wohl, dürft' ich nur alles, alles sagen.«

Hier kam plötzlich ein Storch aus dem Gesträuch und klapperte zornig nach dem Fliederbusche hin, und die Nachtigall schwieg auf einmal. »Was hat nur der Storch mit der Nachtigall zu so später Zeit? Er ruht doch sonst auch gern bei Nacht«, sagte Libertas zu sich selbst und wußte gar nicht, was sie davon denken sollte.

Aber die Nachtigall wußte es recht gut, und daß sie in der Nähe des Schlosses nicht so viel ausplaudern sollte; denn unter den freien Tieren des Waldes war in jener großen nächtlichen Versammlung, die Magog auf seiner Wanderschaft von ferne mitangesehen hatte, eine geheime Verschwörung gemacht worden und sollte eben in der heutigen Nacht zum Ausbruch kommen. Schon am vorigen Abend war es den Landleuten, die vor Schlafengehen noch ihre Saaten in Augenschein nahmen, sehr aufgefallen, wie da über der Au im Tale, wo die glänzenden Sommerfäden an den Gräsern hingen, so viele Schwalben emsig hin und her schweiften und mit

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