Ungekürztes Werk "Libertas und ihre Freier" von Joseph von Eichendorff (Seite 3)

befand, daß alles gut war.

Seitdem waren viele Jahre vergangen, da gewahrte man in einer schönen Nacht dort in der Gegend ein seltsames Zittern und Blinkern in der Luft, als würde am Himmel ganz was Absonderliches vorbereitet. Die Vögel erwachten darüber und reckten und dehnten noch verschlafen ihre Flügel, da sahen sie droben auch den Adler schon wach und fragten erstaunt:

»Was gibt's, daß vom Horste

An der zackigen Kluft

Der Adler schon steigt

Und hängt überm Forste

In der stillen Luft,

Wenn alles noch schweigt?«

Der Adler aber vernahm es und rief hinab:

»Ich hörte in Träumen

Ein Rauschen gehn,

Sah die Gipfel sich säumen

Von allen Höhn –

Ist's ein Brand, ist's die Sonne,

Ich weiß es nicht,

Aber ein Schauer voll Wonne

Durch die Wälder bricht.«

Jetzt schüttelten die Vögel geschwind den Tau von den bunten Wämschen und hüpften und kletterten nun selber in ihrem grünen Haus bis in die allerhöchsten Wipfel hinaus, da konnten sie weit ins Land hinaussehn und sangen:

»Sind das Blitze, sind das Sterne?

Nein, der Aar hat recht gesehn,

Denn schon leuchtet's aus der Ferne,

Daß die Augen übergehn.

Und in diesen Morgenblitzen

Eine hohe Frau zu Roß,

Als wär' mit den Felsenspitzen

Das Gebirge dort ihr Schloß.

Geht ein Klingen in den Lüften,

Aus der Tiefe rauscht der Fluß,

Quellen kommen aus den Schlüften,

Bringen ihr der Höhen Gruß.

Und die grauen Schatten sinken,

Wie sie durch die Dämmrung bricht,

Und die Kreaturen trinken

Dürstend alle wieder Licht.

Ja, sie ist's, die wir da schauen,

Unsre Königin im Tal!

O Libertas! schöne Fraue,

Grüß' dich Gott vieltausendmal!«

»Habt Dank, meine lustigen Kameraden!« rief da eine wunderliebliche Stimme, die wie ein Glöcklein durch die Einsamkeit klang, und die Lerche stieg sogleich kerzengerade in die Höh' und jubilierte: »Die Libertas ist da, die Libertas ist da!« – es wollt's niemand glauben. Sie war's aber wirklich, die soeben zwischen dem Gesträuch auf den Schloßberg heraustrat. Sie ließ ihr Rößlein frei neben sich weiden und schüttelte die langen wallenden Locken aus der Stirn; die Bäume und Sträucher hatten sie ganz mit funkelndem Tau bedeckt, daß sie fast wie eine Kriegsgöttin in goldener Rüstung anzusehen war. Hinter ihr aber, wo sie geritten, zog sich's wie eine leuchtende Furt durchs Land, denn sie war über Nacht gekommen, der Mond hatte prächtig geschienen und die Wälder seltsam dazu gerauscht, in den Tälern aber schlief noch alles, nur die Hunde bellten erschrocken in den fernen Dörfern, und die Glocken auf den Türmen schlugen von selbst an, wo sie vorüberzog.

»Ich wollte doch auch wieder einmal meine Heimat besuchen«, sagte sie jetzt, »die schönen Wälder, wo ich aufgewachsen. Da ist viel abgeholzt seitdem, das wächst so bald nicht wieder nach auf den kahlen Bergen.« Nun erblickte sie erst das geheimnisvolle Schloß und den Ziergarten. »Aber wo bin ich denn hier hingeraten?« fragte sie erstaunt. Es schwieg alles; was wußten die Vögel von dem Baron Pinkus! Es war ihr alles so fremd, sie konnte sich gar nicht zurechtfinden. »Das ist die Burg nicht mehr, wo sonst meine liebsten Gesellen gewohnt. Mein Gott! wo sind die alten Linden hin, unter denen wir damals so oft zusammengesessen?« Darüber wurde sie auf einmal ganz ernsthaft, trat an den Abhang und sprach laut in

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