Ungekürztes Werk "Libertas und ihre Freier" von Joseph von Eichendorff (Seite 8)

Bein vor, da stürzten und kollerten die Verbissenen plötzlich verworren übereinander, während die Riesenmutter voller Zorn ihren Kehrbesen mitten in den Knäuel warf. Darüber kamen alle in ein so herzhaftes Lachen, daß der Wald zitterte.

Da nun Magog die Familie in so guter Laune sah, faßte er sich ein Herz und rückte sogleich mit seinem eigentlichen Plane heraus. »Herr Rüpel«, sagte er, »ich bin ein Biedermann und kenne kein Hofieren und keinen Hof als den Hühnerhof meiner Mutter, aber das muß ich Ihnen rundheraus sagen: Ihre Macht und Gesinnungstüchtigkeit ist durch ganz Europa ebenso berühmt als geschätzt und ebenso geschätzt als gefürchtet. Darum wende ich mich vertrauensvoll an Ihr großes Herz und rufe: Wehe und abermals wehe! Die Libertas ist geknechtet! – Wollen wir das dulden?« – »Libertas? Wer ist die Person?« fragte Rüpel. »Libertas?« erwiderte Magog, »Libertas ist die Schutzpatronin aller Urwälder, die Patronin dieses langweiligen – wollt' sagen: altheiligen Waldes.« – »I bewahre«, fiel ihm hier die Riesin ins Wort, »unsere Grundherrschaft ist das gnädige Fräulein Sibylla da draußen.« – »Was? Die mit den Papilloten und großen Haubenschachteln?« rief Magog, den dieser unerwartete Einwurf ganz aus dem Konzept gebracht hatte. Aber er faßte sich bald wieder. »Grundherrschaft!« fuhr er fort, »schützt die Grille Krokodile, der Frosch das Rhinozeros, der Weißfisch den Haifisch? – Wer die Macht hat, ist der Herr, und Ihr habt die Macht, wenn die Libertas regiert, und habt die Macht nicht, wenn die Libertas gefangen ist, und die Libertas ist gefangen – ich frage also nochmals, wollen wir das dulden?«

Hier aber wurde er, da er eben im besten Zuge war, durch einen seltsamen Auftritt unterbrochen. Ein Reiher kam nämlich pfeilschnell dahergeschossen, setzte sich gerade auf seinen zerknitterten Kalabreser, drehte ein paarmal mit dem dünnen Halse, verneigte sich dann feierlich vor der Gesellschaft und sagte: »Sie lassen alle ihren Respekt vermelden, und es tut ihnen sehr leid, aber sie können heut und morgen nichts bringen, wir haben alle außerordentlich Wichtiges zu tun; schönen guten Morgen!« Und damit sich abermals höflich verneigend, schwang er sich wieder in die Lüfte. »Guten Morgen, Herr Fischer«, erwiderte Rüpel, ihm ganz verblüfft und mit einer verzweifelten Resignation nachschauend. Jetzt sah man auf einmal auch einen ungeheuern Schwarm wilder Gänse über den Wald fortziehen, einen alten gewiegten Gänserich voran, alle die Hälse wie Lanzen weit vorgestreckt und in einem spitzen Keile dahinstürmend, als wollten sie den Himmel durchbrechen, und dabei machten sie ein so entsetzliches kriegerisches Geschrei, daß man sein eigenes Wort nicht hören konnte. Währenddes aber hatte der eine Riesenknabe sich mit dem Ohr auf den Boden gelegt und sagte: »Draußen im Grund hör' ich ein groß Getrampel, man kann die Tritte deutlich unterscheiden: Hirsche, Auerochsen, Bären, Damhirsche, Rehe, zieht alles wild durcheinander den großen See entlang.« – »Die Tollköpfe!« rief die Riesenmutter aus, »da haben sie gewiß wieder Verdruß gehabt mit dem gnädigen Fräulein und haben unsern guten Wald in Verruf getan und wandern aus; denn das Fräulein ist ihnen immer spinnefeind gewesen und ließ sie mit Hunden hetzen und schinden

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