Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 123)

durchsetzen können. Wir müssen mit dem Zentrum paktieren. Dann sind wir egal raus. Und nun kommt dieser Gundermann und will uns auch das noch nehmen. Es ist doch ’ne Wahrheit, daß sich die Parteien und die Stände jedesmal selbst ruinieren. Das heißt, von ›Ständen‹ kann hier eigentlich nicht die Rede sein; denn dieser Gundermann gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war ’ne Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er sich auch immer vor.«

Bald nach Gundermanns Rede, die schon eine Art Nachspiel gewesen war, flüsterte Baron Beetz dem Alten-Friesacker zu, daß es Zeit sei, die Tafel aufzuheben. Der Alte wollte jedoch noch nicht recht, denn wenn er mal saß, saß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt wurden, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich anzuschließen, und unter den Klängen des »Hohenfriedbergers« – der »Prager«, darin es heißt: »Schwerin fällt«, wäre mit Rücksicht auf die Gesamtsituation vielleicht paßlicher gewesen – kehrte man in die Parterreräume zurück, wo die Majorität dem Kaffee zusprechen wollte, während eine kleine Gruppe von Allertapfersten in die Straße hinaustrat, um da, unter den Bäumen des »Triangelplatzes«, sich bei Sekt und Kognak des weiteren bene zu tun. Obenan saß von Molchow, neben ihm von Kraatz und van Peerenboom; Molchow gegenüber Direktor Thormeyer und der bis dahin mit der Festmusik betraute Lehrer, der bei solchen Gelegenheiten überhaupt Thormeyers Adlatus war. Sonderbarerweise hatte sich auch Katzler hier niedergelassen (er sehnte sich wohl nach Eindrücken, die jenseits aller »Pflicht« lagen), und neben ihm, was beinahe noch mehr überraschen konnte, saß von der Nonne. Molchow und Thormeyer führten das Wort. Von Wahl und Politik – nur über Gundermann fiel gelegentlich eine spöttische Bemerkung – war längst keine Rede mehr, statt dessen befleißigte man sich, die neuesten Klatschgeschichten aus der Grafschaft heranzuziehen. »Ist es denn wahr«, sagte Kraatz, »daß die schöne Lilli nun doch ihren Vetter heiraten wird, oder richtiger, der Vetter die schöne Lilli?«

»Vetter?« fragte Peerenboom.

»Ach, Peerenboom, Sie wissen auch gar nichts; Sie sitzen immer noch zwischen Ihren Delfter Kacheln und waren doch schon ’ne ganze Weile hier, als die Lilligeschichte spielte.«

Peerenboom ließ sich’s gesagt sein und begrub jede weitere Frage, was er, ohne sich zu schädigen, auch ganz gut konnte, da kein Zweifel war, daß der, der das Lillithema heraufbeschworen, über kurz oder lang ohnehin alles klarlegen würde. Das geschah denn auch.

»Ja diese verdammten Kerle«, fuhr von Kraatz fort, »diese Lehrer? Entschuldigen Sie, Luckhardt, aber Sie sind ja beim Gymnasium, da liegt alles anders, und der, der hier ’ne Rolle spielt, war ja natürlich bloß ein Hauslehrer, Hauslehrer bei Lillis jüngstem Bruder. Und eines Tages waren beide weg, der Kandidat und Lilli. Selbstverständlich nach England. Es kann einer noch so dumm sein, aber von Gretna Green hat er doch mal gehört oder gelesen. Und da wollten sie denn auch beide hin. Und sind auch. Aber ich glaube, der Gretna Greensche darf nicht mehr trauen. Und so nahmen sie denn Lodgings in London, ganz ohne Trauung. Und es ging auch so, bis ihnen das kleine Geld ausging.«

»Ja, das kennt man.«

»Und da kamen

Seiten