Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 124)

sie denn also wieder. Das heißt, Lilli kam wieder. Und sie war auch schon vorher mit dem Vetter so gut wie verlobt gewesen.«

»Und der sprang nu ab?«

»Nicht so ganz. Oder eigentlich gar nicht. Denn Lilli ist sehr hübsch und nebenher auch noch sehr reich. Und da soll denn der Vetter gesagt haben, er liebe sie so sehr, und wo man liebe, da verzeihe man auch. Und er halte auch eine Entsühnung für durchaus möglich. Ja, er soll dabei von Purgatorium gesprochen haben.«

»Mißfällt mir, klingt schlecht«, sagte Molchow. »Aber was er vorher gesagt, ›Entsühnung‹, das ist ein schönes Wort und eine schöne Sache. Nur das ›Wie‹ – ach, man weiß immer so wenig von diesen Dingen – will mir nicht recht einleuchten. Als Christ weiß ich natürlich (so schlimm steht es am Ende auch nicht mit einem), als Christ weiß ich, daß es eine Sühne gibt. Aber in solchem Falle? Thormeyer, was meinen Sie, was sagen Sie dazu? Sie sind ein Mann von Fach und haben alle Kirchenväter gelesen und noch ein paar mehr.«

Thormeyer verklärte sich. Das war so recht ein Thema nach seinem Geschmack; seine Augen wurden größer und sein glattes Gesicht noch glatter.

»Ja«, sagte er, während er sich über den Tisch zu Molchow vorbeugte, »so was gibt es. Und es ist ein Glück, daß es so was gibt. Denn die arme Menschheit braucht es. Das Wort Purgatorium will ich vermeiden, einmal, weil sich mein protestantisches Gewissen dagegen sträubt, und dann auch wegen des Anklangs; aber es gibt eine Purifikation. Und das ist doch eigentlich das, worauf es ankommt: Reinheitswiederherstellung. Ein etwas schwerfälliges Wort. Indessen die Sache, drum sich’s hier handelt, gibt es doch gut wieder. Sie begegnen diesem Hange nach Restitution überall, und namentlich im Orient – aus dem doch unsre ganze Kultur stammt – finden Sie diese Lehre, dieses Dogma, diese Tatsache.«

»Ja, ist es eine Tatsache?«

»Schwer zu sagen. Aber es wird als Tatsache genommen. Und das ist ebensogut. Blut sühnt

»Blut sühnt«, wiederholte Molchow. »Gewiß. Daher haben wir ja auch unsere Duellinstitution. Aber wo wollen Sie hier die Blutsühne hernehmen? In diesem Spezialfalle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer ist drüben in England geblieben. wenn er nicht gar nach Amerika gegangen ist. Und wenn er auch wiederkäme, er ist nicht satisfaktionsfähig. Wär’ er Reserveoffizier, so hätt’ ich das längst erfahren ...«

»Ja, Herr von Molchow, das ist die hiesige Anschauung. Etwas primitiv, naturwüchsig, das sogenannte Blut­racheprinzip. Aber es braucht nicht immer das Blut des Übeltäters selbst zu sein. Bei den Orientalen ...«

»Ach, Orientalen ... dolle Gesellschaft ...«

»Nun denn meinetwegen, bei fast allen Völkern des Ostens sühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach orientalischer Anschauung – ich kann das Wort nicht vermeiden, Herr von Molchow, ich muß immer wieder darauf zurückkommen – nach orientalischer Anschauung stellt Blut die Unschuld als solche wieder her.«

»Na, hören Sie, Rektor.«

»Ja, es ist so, meine Herren. Und ich darf sagen, es zählt das zu dem Feinsten und Tiefsinnigsten, was es gibt. Und ich habe da auch neulich erst eine Geschichte gelesen, die das alles nicht bloß so obenhin bestätigt,

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