Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 128)

er auch nicht. Woldemar war so durchdrungen davon, daß er über die Vorstellung einer Niederlage, dran er als Sohn des Alten immerhin wie beteiligt war, verhältnismäßig rasch hinwegkam, pries es aber doch, um eben diese Zeit mit einem Kommando nach Ostpreußen hin betraut zu werden, das ihn auf ein paar Wochen von Berlin fernhielt. Kam er dann zurück, so waren Anfragen in dieser Wahlangelegenheit nicht mehr zu befürchten, am wenigsten innerhalb seines Regiments, in dem man sich, von ein paar Intimsten abgesehen, eigentlich schon jetzt über den unliebsamen Zwischenfall ausschwieg.

Und in Schweigen hüllte man sich auch am Kronprinzenufer, als Woldemar hier am Abend vor seiner Abreise noch einmal vorsprach, um sich bei der gräflichen Familie zu verabschieden. Es wurde nur ganz obenhin von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie gesprochen, ein absichtlich flüchtiges Berühren, das nicht auffiel, weil sich das Gespräch sehr bald um Rex und Czako zu drehen begann, die, seit lange dazu aufgefordert, gerade den Tag vorher ihren ersten Besuch im Barbyschen Hause gemacht und besonders bei dem alten Grafen viel Entgegenkommen gefunden hatten. Auch Melusine hatte sich durch den Besuch der Freunde durchaus zufriedengestellt gesehen, trotzdem ihr nicht entgangen war, was, nach freilich entgegengesetzten Seiten hin, die Schwäche beider ausmachte.

»Wovon der eine zu wenig hat«, sagte sie, »davon hat der andre zu viel.«

»Und wie zeigte sich das, gnädigste Gräfin ?«

»Oh, ganz unverkennbar. Es traf sich, daß im selben Augenblicke, wo die Herren Platz nahmen, drüben die Glocken der Gnadenkirche geläutet wurden, was denn – man ist bei solchen ersten Besuchen immer dankbar, an irgendwas anknüpfen zu können – unser Gespräch sofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten sich dann beide. Hauptmann Czako, weil er ahnen mochte, was sein Freund in nächster Minute sagen würde, gab vorweg deutliche Zeichen von Ungeduld, während Herr von Rex in der Tat nicht nur von dem ›Ernst der Zeiten‹ zu sprechen anfing, sondern auch von dem Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, uns nahe bevorstehenden Umschwung erwartete. Was mich natürlich erheiterte.«

Woldemars Kommando nach Ostpreußen war bis auf Anfang November berechnet, und mehr als einmal sprachen im Verlaufe dieser Zeit Rex und Czako bei den Barbys vor. Freilich immer nur einzeln. Verabredungen zu gemeinschaftlichem Besuche waren zwar mehrfach eingeleitet worden, aber jedesmal erfolglos, und erst zwei Tage vor Woldemars Rückkehr fügte es sich, daß sich die beiden Freunde bei den Barbys trafen. Es war ein ganz besonders gelungener Abend, da neben der Baronin Berchtesgaden und Doktor Wrschowitz auch ein alter Malerprofessor (eine neue Bekanntschaft des Hauses) zugegen war, was eine sehr belebte Konversation herbeiführte. Besonders der neben seinen andern Apartheiten auch durch langes weißes Haar und große Leuchteaugen ausgezeichnete Professor hatte – gestützt auf einen unentwegten Peter-Cornelius-Enthusiasmus – alles hinzureißen gewußt. »Ich bin glücklich, noch die Tage dieses großen und einzig dastehenden Künstlers gesehen zu haben. Sie kennen seine Kartons, die mir das Bedeutendste scheinen, was wir überhaupt hier haben. Auf dem einen Karton steht im Vordergrund ein Tubabläser und setzt das Horn an den Mund, um zu Gericht zu rufen. Diese eine Gestalt balanciert fünf

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