Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 135)

hinter sich hat‹, dies Trostwort ist manchem von uns ein bißchen verlorengegangen, trotz unsrer Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege produzieren unter Umständen auch Bescheidenheit.«

»Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zuviel davon. Aber wenn Sie erst Ihre Ruth haben ...«

»Ach, Czako, kommen Sie mir nicht immer mit Ruth. Oder eigentlich, seien Sie doch bedankt dafür. Denn dieser weibliche Name mahnt mich, daß ich mich für heut abend am Kronprinzenufer angemeldet habe, bei den Barbys, wo’s, wie Sie wissen, freilich keine Ruth gibt, aber dafür eine Melusine, was fast noch mehr ist.«

»Versteht sich, Melusine is mehr. Alles, was aus dem Wasser kommt, ist mehr. Venus kam aus dem Wasser, ebenso Hero ... Nein, nein, entschuldigen Sie, es war Leander.«

»Egal. Lassen Sie’s, wie’s ist. Solche verwechselte Schil­lerstelle tut einem immer wohl. Übrigens können Sie mich in meinem Coupé begleiten; vom Kronprinzenufer aus haben Sie knapp noch halben Weg bis in Ihre Kaserne.«

Das Coupé tat seine Schuldigkeit, und es schlug eben erst acht, als Woldemar vor dem Barbyschen Hause hielt und, sich von Czako verabschiedend, die Treppe hinaufstieg. Er fand nur die Familie vor, was ihm sehr lieb war, weil er kein allgemeines Gespräch führen, sondern sich lediglich für seine Reise Rats erholen wollte. Der alte Graf kannte London besser als Berlin, und auch Melusine war schon über siebzehn, als man, bald nach dem Tode der Mutter, England verlassen und sich auf die Graubündner Güter zurückgezogen hatte. Darüber waren nun wieder nah an anderthalb Jahrzehnte vergangen, aber Vater und Töchter hingen nach wie vor an Hyde-Park und dem schönen Hause, das sie da bewohnt hatten, und gedachten dankbar der in London verlebten Tage. Selbst Armgard sprach gern von dem wenigen, dessen sie sich noch aus ihrer frühen Kindheit her erinnerte.

»Wie glücklich bin ich«, sagte Woldemar, »Sie allein zu finden! Das klingt freilich sehr selbstisch; aber ich bin doch vielleicht entschuldigt. Wenn Besuch da wäre, nehmen wir beispielsweise Wrschowitz, und ich ließe mich hinreißen, von der Prinzessin von Wales und in natürlicher Konsequenz von ihren zwei Schwestern Dagmar und Thyra zu sprechen, so hätt’ ich vielleicht wegen Dänenfreundlichkeit heut abend noch ein Duell auszufechten. Was mir doch unbequem wäre. Besser ist besser.«

Der alte Barby nickte vergnüglich.

»Ja, Herr Graf«, fuhr Woldemar fort, »ich komme, mich von Ihnen und den Damen zu verabschieden; aber ich komme vor allem auch, um mich in zwölfter Stunde noch nach Möglichkeit zu informieren. In dem Augenblick, wo der gänzlich ignorante Kandidatus in seinen Frack fährt, guckt er – so was soll vorkommen – noch einmal ins Corpus juris und liest, sagen wir zehn Zeilen, und gerad über diese wird er nachher gefragt und sieht sich gerettet. Dergleichen könnte mir doch auch vorbehalten sein. Sie waren lange drüben und die Damen ebenso. Auf was muß ich achten, was vermeiden, was tun? Vor allem, was muß ich sehn und was nicht sehn? Das letztere vielleicht das Wichtigste von allem.«

»Gewiß, lieber Stechlin. Aber ehe wir anfangen, rücken Sie hier ein und gönnen Sie sich eine Tasse Tee. Freilich, daß Sie den Tee würdigen

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