Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 153)
Und nun diese Tragweite! Lassen wir das aber und sagen Sie mir lieber: Was ist Waltham-Abbey? Und wo liegt es?«
»Es liegt ganz in der Nähe von London und ist eine Nachmittagsfahrt, etwa wie wenn man das Mausoleum in Charlottenburg besucht oder das in der Potsdamer Friedenskirche.«
»Hat es denn etwas von einem Mausoleum?«
»Ja und nein. Der Denkstein fehlt, aber die ganze Kirche kann als ein Denkmal gelten.«
»Als ein Denkmal für wen?«
»Für König Harald.«
»Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlachtfelde von Hastings suchte?«
»Für denselben.«
»Ich habe während meiner Londoner Tage das Bild von Horace Vernet gesehn, das den Moment darstellt, wo die schöne Col de Cygne zwischen den Toten umherirrt. Und ich erinnre mich auch, daß zwei Mönche neben ihr herschritten. Aber weiter weiß ich nichts. Und am wenigsten weiß ich, was daraus wurde.«
»Was daraus wurde – das ist eben der Schlußakt des Dramas. Und dieser Schlußakt heißt Waltham-Abbey. Die Mönche, deren Sie sich erinnern und die da neben Editha herschritten, das waren Waltham-Abbey-Mönche, und als sie schließlich gefunden hatten, was sie suchten, legten sie den König auf dichtes Baumgezweig und trugen ihn den weiten Weg bis nach Waltham-Abbey zurück. Und da begruben sie ihn.«
»Und die Stätte, wo sie ihn begruben, die haben Sie besucht?«
»Nein, nicht sein Grab; das existiert nicht. Man weiß nur, daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als ich da, die Sonne ging eben unter, in einem uralten Lindengange stand, zwischen Grabsteinen links und rechts, und das Abendläuten von der Kirche her begann, da war es mir, als käme wieder der Zug mit den Mönchen den Lindengang herauf, und ich sah Editha und sah auch den König, trotzdem ihn die Zweige halb verdeckten. Und dabei (wenn auch eigentlich der Papa schuld ist und nicht Sie, Gräfin) gedacht’ ich Ihrer in alter und neuer Dankbarkeit.«
»Und daß Sie mich besiegt haben. Aber das sage nur ich. Sie sagen es natürlich nicht, denn Sie sind nicht der Mann, sich eines Sieges zu rühmen, noch dazu über eine Frau. Waltham-Abbey kenn’ ich nun, und an Ihre Phantasie glaub’ ich von heut an, trotzdem Sie mich mit Traitors-Gate im Stich gelassen. Daß Sie nebenher noch, und zwar Armgard zu Ehren, in Martins le Grand waren, dessen bin ich sicher und ebenso, daß Sie Papas einzige Forderung erfüllt und der Kapelle Heinrichs VII. Ihren Besuch gemacht haben, diesem Wunderwerk der Tudors. Welchen Eindruck hatten Sie von der Kapelle?«
»Den denkbar großartigsten. Ich weiß, daß man die herabhängenden Trichter, die sie ›Tromben‹ nennen, unschön gefunden hat; aber ästhetische Vorschriften existieren für mich nicht. Was auf mich wirkt, wirkt. Ich konnte mich nicht sattsehen daran. Trotzdem, das Eigentlichste war doch noch wieder ein andres und kam erst, als ich da zwischen den Sarkophagen der beiden feindlichen Königinnen stand. Ich wüßte nicht, daß etwas je so beweglich und eindringlich zu mir gepredigt hätte wie gerade diese Stelle.«
»Und was war es, was Sie da so bewegte?«
»Das Gefühl: ›zwischen diesen beiden Gegensätzen pendelt die Weltgeschichte‹. Zunächst freilich scheinen wir da nur den Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus zu haben, aber