Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 155)
schrieb:
»Mein lieber Woldemar. Die Würfel sind nun also gefallen (früher hieß es ›alea jacta est‹, aber so altmodisch bin ich denn doch nicht mehr), und da zwei Sechsen obenauf liegen, kann ich nur sagen: ich gratuliere. Nach dem Gespräch übrigens, das ich am 3. Oktober morgens mit Dir führte, während wir um unsern Stechliner Springbrunnen herumgingen (seit drei Tagen springt er nicht mehr; wahrscheinlich werden die Mäuse das Röhrenwerk angeknabbert haben) – seit jenem Oktobermorgen hab’ ich so was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Du wirst nun also Karriere machen, glücklicherweise zunächst durch Dich selbst und dann allerdings auch durch Deine Braut und deren Familie. Graf Barby – mit Rübenboden im Magdeburgischen und mit Mineralquellen im Graubündischen –, höher hinauf geht es kaum, Du müßtest Dich denn bis ins Katzlersche verirren. Armgard ist auch schon viel, aber Ermyntrud doch mehr und für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein lieber Woldemar, Du kommst nun also zu Vermögen und Einfluß und kannst die Stechlins wieder raufbringen (gestern war Baruch Hirschfeld hier und in allem willfährig; die Juden sind nicht so schlimm, wie manche meinen), und wenn Du dann hier einziehst und statt der alten Kate so was in Châteaustil bauen läßt und vielleicht sogar eine Fasanenzucht anlegst, so daß erst der Post-Stephan und dann der Kaiser selbst bei Dir zu Besuch kommen kann, ja, da kannst Du möglicherweise selbst das erreichen, was Dein alter Vater, weil Feilenhauer Torgelow mächtiger war als er, nicht erreichen konnte: den Einzug ins Reichshaus mit dem freien Blick auf Kroll. Mehr kann ich in diesem Augenblick nicht sagen, auch meine Freude nicht höher spannen, und in diesem relativen Ruhigbleiben empfind’ ich zum erstenmal eine gewisse Familienähnlichkeit mit meiner Schwester Adelheid, deren Glaubensbekenntnis im letzten darauf hinausläuft: Kleinadel über Hochadel, Junker über Graf. Ja ich fühle, Deinen Gräflichkeiten gegenüber, wie sich der Junker ein bißchen in mir regt. Die reichen und vornehmen Herren sind doch immer ganz eigene Leute, die wohl Fühlung mit uns haben, unter Umständen auch suchen, aber das Fühlunghalten nach oben ist ihnen schließlich doch viel, viel wichtiger. Es heißt wohl immer, ›wir Kleinen, wir machten alles und könnten alles‹, aber bei Lichte besehn ist bloß das alte: ›Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.‹ Glaube mir, Woldemar, wir werden geschoben und sind bloß Sturmbock. Immer dieselbe Geschichte, wie mit Protz und Proletarier. Die Proletarier – wie sie noch echt waren, jetzt mag es wohl anders damit sein – waren auch bloß immer dazu da, die Kastanien aus dem Feuer zu holen; aber ging es dann schief, dann wanderte Bruder Habenichts nach Spandau, und Bruder Protz legte sich zu Bett. Und mit Hochadel und Kleinadel ist es beinah ebenso. Natürlich heiratet eine Ermyntrud mal einen Katzler, aber eigentlich äugt sie doch mehr nach einem Stuart oder Wasa, wenn es deren noch gibt. Wird aber wohl nicht. Entschuldige diesen Herzenserguß, dem Du nicht mehr Gewicht beilegen mußt, als ihm zukommt. Es kam mir das alles so von ungefähr in die Feder,