Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 154)
weit darüber hinaus (weil nicht an Ort und Zeit gebunden) haben wir bei tiefer gehender Betrachtung den Gegensatz von Leidenschaft und Berechnung, von Schönheit und Klugheit. Und das ist der Grund, warum das Interesse daran nicht ausstirbt. Es sind große Typen, diese feindlichen Königinnen.«
Beide Schwestern schwiegen. Dann sagte Melusine, der daran lag, wieder ins Heitere hinüberzulenken: »Und nun, Armgard, sage, für welche von den beiden Königinnen bist du?«
»Nicht für die eine und nicht für die andre. Nicht einmal für beide. Gewiß sind es Typen. Aber es gibt andre, die mir mehr bedeuten, und, um es kurz zu sagen, Elisabeth von Thüringen ist mir lieber als Elisabeth von England. Andern leben und der Armut das Brot geben – darin allein ruht das Glück. Ich möchte, daß ich mir das erringen könnte. Aber man erringt sich nichts. Alles ist Gnade.«
»Du bist ein Kind«, sagte Melusine, während sie sich mühte, ihrer Bewegung Herr zu werden. »Du wirst noch ›Unter den Linden‹ für Geld gezeigt werden. Auf der einen Seite die ›Mädchen von Dahomey‹, auf der andern du.«
Stechlin ging. Armgard gab ihm das Geleit bis auf den Korridor. Es war eine Verlegenheit zwischen beiden, und Woldemar fühlte, daß er etwas sagen müsse. »Welche liebenswürdige Schwester Sie haben.«
Armgard errötete. »Sie werden mich eifersüchtig machen.«
»Wirklich, Komtesse?«
»Vielleicht ... Gute Nacht.«
Eine halbe Stunde später saß Melusine neben dem Bett der Schwester, und beide plauderten noch. Aber Armgard war einsilbig, und Melusine bemerkte wohl, daß die Schwester etwas auf dem Herzen habe.
»Was hast du, Armgard? Du bist so zerstreut, so wie abwesend.«
»Ich weiß es nicht, aber ich glaube fast ...«
»Nun was?«
»Ich glaube fast, ich bin verlobt.«
26. Kapitel
Und was die jüngere Schwester der älteren zugeflüstert hatte, das wurde wahr, und schon wenige Tage nach diesem ersten Wiedersehn waren Armgard und Woldemar Verlobte. Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, den er seit lange gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer Herzlichkeit, als ob sie selber die Glückliche wäre.
»Du gönnst ihn mir doch?«
»Ach, meine liebe Armgard«, sagte Melusine, »wenn du wüßtest! Ich habe nur die Freude, du hast auch die Last.«
An demselben Abende noch, wo die Verlobung stattgefunden hatte, schrieb Woldemar nach Stechlin und nach Wutz; der eine Brief war so wichtig wie der andre, denn die Tante-Domina, deren Mißstimmung so gut wie gewiß war, mußte nach Möglichkeit versöhnlich gestimmt werden. Freilich blieb es fraglich, ob es glücken würde.
Zwei Tage später waren die Antwortbriefe da, von denen diesmal der Wutzer Brief über den Stechliner siegte, was einfach daran lag, daß Woldemar von Wutz her nur Ausstellungen, von Stechlin her nur Entzücken erwartet hatte. Das traf aber nun beides nicht zu. Was die Tante schrieb, war durchaus nicht so schlimm (sie beschränkte sich auf Wiederholung der schon mündlich von ihr ausgesprochenen Bedenken), und was der Alte schrieb, war nicht so gut oder doch wenigstens nicht so der Situation angepaßt, wie’s Woldemar gewärtigte. Natürlich war es eine Beglückwünschung, aber doch mehr noch ein politischer Exkurs. Dubslav litt als Briefschreiber daran, gern bei Nebensächlichkeiten zu verweilen und gelegentlich über die Hauptsache wegzusehn. Er