Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 199)
ein Kenner eine neue Weinsorte probt. Dann nickte er und sagte: »Ja, Engelke, nu geht es los. Fingerhut.«
Der alte Dubslav nahm durch mehrere Tage hin seine Tropfen ganz gewissenhaft und fand auch, daß sich’s etwas bessere. Die Geschwulst ging um ein geringes zurück. Aber die Tropfen nahmen ihm den Appetit, so daß er noch weniger aß, als ihm gestattet war.
Es war ein schöner Frühmärzentag, die Mittagszeit schon vorüber. Dubslav saß an der weit offenstehenden Glastür seines Gartensalons und las die Zeitung. Es schien indes, daß ihm das, was er las, nicht sonderlich gefiel. »Ach, Engelke, die Zeitung ist ja soweit ganz gut; nur so für den ganzen Tag ist sie doch zu wenig. Du könntest mir lieber ein Buch bringen.«
»Was für eines?«
»Is egal.«
»Da liegt ja noch das kleine gelbe Buch: ›Keine Lupine mehr!‹«
»Nein, nein; nicht so was. Lupine, davon hab ich schon so viel gelesen; das wechselt in einem fort, und eins ist so dumm wie das andre. Die Landwirtschaft kommt doch nicht wieder obenauf oder wenigstens nicht durch so was. Bringe mir lieber einen Roman; früher in meiner Jugend sagte man Schmöker. Ja, damals waren alle Wörter viel besser als jetzt. Weißt du noch, wie ich mir in dem Jahre, wo ich Zivil wurde, den ersten Schniepel machen ließ? Schniepel is auch solch Wort und doch wahrhaftig besser als Frack. Schniepel hat so was Fideles: Einsegnung, Hochzeit, Kindtaufe.«
»Gott, gnädiger Herr, immer is es doch auch nicht so. Die meisten Schniepel sind doch, wenn einer begraben wird.«
»Richtig, Engelke. Wenn einer begraben wird. Das war ein guter Einfall von dir. Früher würd’ ich gesagt haben ›zeitgemäß‹; jetzt sagt man ›opportun‹. Hast du schon mal davon gehört?«
»Ja, gnädiger Herr, gehört hab’ ich schon mal davon.«
»Aber nich verstanden. Na, ich eigentlich auch nich. Wenigstens nicht so recht. Und du, du warst ja nich mal auf Schulen.«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Alles in allem, sei froh drüber ... Aber, Engelke, wenn du mir nu ein Buch gebracht hast, dann will ich mich mit meinem Stuhl doch lieber gleich auf die Veranda rausrücken. Es ist wie Frühling heut. Solche guten Tage muß man mitnehmen. Und bringe mir auch ’ne Decke. Früher war ich nich so fürs Pimplige; jetzt aber heißt es: besser bewahrt als beklagt.«
In dem ganzen Dreieck zwischen Rheinsberg, Kloster Wutz und Gransee hatte sich die Nachricht von des alten Dubslav ernster Erkrankung mehr und mehr herumgesprochen, und es war wohl im Zusammenhange damit, daß ungefähr um dieselbe Stunde, wo Dubslav und Engelke sich über »Schniepel« und »opportun« unterhielten, ein Einspänner auf die Stechliner Rampe fuhr, ein etwas sonderbares Gefährt, dem der alte Baruch Hirschfeld langsam und vorsichtig entstieg. Engelke war ihm dabei behilflich und meldete gleich danach, daß der Alte da sei.
»Der alte Baruch! Um Gottes willen, Engelke, was will denn der? Es ist ja doch glücklicherweise nichts los. Und so ganz aus freien Stücken. Na, laß ihn kommen.«
Und Baruch Hirschfeld trat gleich darauf ein.
Dubslav, in seine Decke gewickelt, begrüßte den Alten. »Aber Baruch, um alles in der Welt, was gibt es? Was bringen Sie? Gleichviel