Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 204)
brachen die Sponholzschen Eheleute von Gransee nach Pfäffers hin auf; die Frau, sehr leidend, war schweigsam, er aber befand sich in einem hochgradigen Reisefieber, was sich, als sie draußen auf dem Bahnhof angelangt waren, in immer wachsender Gesprächigkeit äußerte.
Mehrere Freunde (meist Logenbrüder) hatten ihn bis hinaus begleitet. Sponholz kam hier sofort vom Hundertsten aufs Tausendste. »Ja, unser guter Stechlin, mit dem steht es soso ... Baruch hat ihn auch gesehn und ihn einigermaßen verändert gefunden ... Und Sie, Kirstein, Sie schreiben mir natürlich, wenn der junge Burmeister eintritt; ich weiß, er will nicht recht (bloß der Vater will) und soll sogar von ›Hokuspokus‹ gesprochen haben. Aber dergleichen muß man leichtnehmen. Unwissenheit, Verkennungen, über so was sind wir weg; viel Feind’, viel Ehr’ ... Nur, es noch einmal zu sagen, der Alte drüben in Stechlin macht mir Sorge. Man muß aber hoffen; bei Gott kein Ding unmöglich ist. Und zu Moscheles hab’ ich Vertrauen; ihn auskultieren zu sehn, ist ein wahres Vergnügen für ’nen Fachmann.«
So klang, was Sponholz noch in letzter Minute vom Coupéfenster aus zum besten gab. Alles, am meisten aber das über den alten Stechlin Gesagte, wurde weitergetragen und drang bis auf die Dörfer hinaus, so namentlich auch bis nach Quaden-Hennersdorf zu Superintendent Koseleger, der seit kurzem mit Ermyntrud einen lebhaften Verkehr unterhielt und, angeregt durch die mit jedem Tage kirchlicher werdende Prinzessin, einen energischen Vorstoß gegen den Unglauben und die in der Grafschaft überhandnehmende Laxheit plante. Koseleger sowohl wie die Prinzessin wollten zu diesem Zwecke beim alten Dubslav als »nächstem Objekt« einsetzen und hielten sein Asthma für den geeignetsten Zeitpunkt. In einem Briefe der Prinzessin an Koseleger hieß es dementsprechend: »Ich will die gute Gesinnung des alten Herrn in nichts anzweifeln; außerdem hat er etwas ungemein Affables. Ich bin ihm menschlich durchaus zugetan. Aber sein Prinzip, das nichts Höheres kennt als ›leben und leben lassen‹, hat in unsrer Gegend alle möglichen Irrtümer und Sonderbarkeiten ins Kraut schießen lassen. Nehmen Sie beispielsweise diesen Krippenstapel. Und nun den Lorenzen selbst! Katzler, mit dem ich gestern über unsern Plan sprach, hat mich gebeten, mit Rücksicht auf die Krankheit des alten Herrn wenigstens vorläufig von allem Abstand zu nehmen, aber ich hab’ ihm widersprechen müssen. Krankheit (soviel ist richtig) macht schroff und eigensinnig, aber in bedrängten Momenten auch wiederum ebenso gefügig, und es sind wohl auch hier wieder gerade die Auferlegungen und Bitternisse, daraus ein Segen für den Kranken und jedenfalls für die Gesamtheit unsres Kreises entspringen wird. Unter allen Umständen aber muß uns das Bewußtsein trösten, unsre Pflicht erfüllt zu haben.«
Es war eine Woche nach Sponholz’ Abreise, daß Ermyntrud diese Zeilen schrieb, und schon am andern Vormittage fuhr Koseleger, der mit der Prinzessin im wesentlichen derselben Meinung war, auf die Stechliner Rampe. Gleich danach trat Engelke bei Dubslav ein und meldete den Herrn Superintendenten.
»Superintendent? Koseleger?«
»Ja, gnäd’ger Herr. Superintendent Koseleger. Er sieht sehr wohl aus und ganz blank.«
»Was es doch für merkwürdige Tage gibt. Heute (du sollst sehn) ist wieder so einer. Mit Moscheles fing’s an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe