Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 40)
dürfen es Krippenstapel nicht anrechnen.«
Dubslav lachte herzlich. »Da haben wir wieder die alte Geschichte. Jeder Schulmeister schulmeistert an seinem Pastor herum, und jeder Pastor pastort über seinen Schulmeister. Ewige Rivalität. Der natürliche Zug ist doch, daß die Jungens nehmen, was sie kriegen können. Der Mensch stiehlt wie’n Rabe. Und wenn er’s mit einmal unterläßt, so muß das doch ’nen Grund haben.«
»Den hat es auch, Herr von Stechlin. Bloß einen andern. Was sollen sie mit ’nem Krammetsvogel machen? Für uns ist es eine Delikatesse, für einen armen Menschen ist es gar nichts, knapp soviel wie’n Sperling.«
»Ach, Lorenzen, ich sehe schon, Sie liegen da wieder mit dem ›Patrimonium der Enterbten‹ im Anschlag; Sperling, das klingt ganz so. Aber so viel ist doch richtig, daß Krippenstapel die Jungens brillant in Ordnung hält; wie ging das heute Schlag auf Schlag, als ich den kurzgeschorenen Schwarzkopp ins Examen nahm, und wie stramm waren die Jungens und wie manierlich, als wir sie nach ’ner Stunde in Globsow wiedersahen. Wie sie da so fidel spielten und doch voll Respekt in allem. ›Frei, aber nicht frech‹, das ist so mein Satz.«
Woldemar und Lorenzen, die nicht mit dabei gewesen waren, waren neugierig, auf welchen Vorgang sich all dies Lob des Alten bezöge.
»Was hat denn«, fragte Woldemar, »die Globsower Jungens mit einem Mal zu so guter Reputation gebracht?«
»Oh, es war wirklich charmant«, sagte Czako, »wir steckten noch unter den Waldbäumen, als wir auch schon Stimmen wie Kommandorufe hörten, und kaum daß wir auf einen freien, von Kastanien umstellten Platz hinausgetreten waren (eigentlich war es wohl schon ein großer Fabrikhof), so sahen wir uns wie mitten in einer Bataille.«
Rex nickte zustimmend, während Czako fortfuhr: »Auf unserer Seite stand die bis dahin augenscheinlich siegreiche Partei, deren weiterer Angriff aber wegen der guten gegnerischen Deckung mit einem Male stoppte. Kaum zu verwundern. Denn eben diese Deckung bestand aus wohl tausend, ein großes Karree bildenden Glasballons, hinter die sich die geschlagene Truppe wie hinter eine Barrikade zurückgezogen hatte. Da standen sie nun und nahmen ein mit den massenhaft umherliegenden Kastanien geführtes Feuergefecht auf. Die meisten ihrer Schüsse gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel auf die Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht wie lange, zusehn können. Als man unserer aber ansichtig wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken auseinander. Überall sind Photographen. Nur wo sie hingehören, da fehlen sie. Genauso wie bei der Polizei.«
Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört. »Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehen es aber; Sie können mit ’nem Dukaten den Großen Kurfürsten vergolden.«
»Ja«, sagte Rex, seinen Partner plötzlich im Stiche lassend, »das tut unser Freund Czako nicht anders; dreiviertel ist immer Dichtung.«
»Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus und am wenigsten für einen korrekten Aktenmenschen.«
»Und dabei, lieber Czako«, nahm jetzt Dubslav das Wort, »dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In so wichtiger Sache müssen Sie mir aber in meiner Lieblingssorte Bescheid tun, nicht in Rotwein, den mein berühmter Miteinsiedler das ›natürliche Getränk des norddeutschen Menschen‹ genannt hatte. Einer seiner mannigfachen Irrtümer; vielleicht der größte. Das