Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 61)

sehen, wie sie da hinten stehen und Platz machen, wenn eine Madamm aufsteigt, manchmal mit ’nem Korb und manchmal auch mit ’ner Spreewaldsamme. Mir immer ein Horreur.«

»Ja, die Pferdebahn, liebe Tante, die haben wir freilich, und man kann mit ihr in einer halben Stunde bis in Czakos Kaserne. Der weite Weg ist es auch eigentlich nicht, wenigstens nicht allein, weshalb ich Czako so selten sehe. Der Hauptgrund ist doch wohl der, er paßt nicht so ganz zu uns und eigentlich auch kaum zu seinem Regiment. Er ist ein guter Kerl, aber ein Äquivokenmensch und erzählt immer Nachmitternachtsgeschichten. Wenn man ihn allein hat, geht es. Aber hat er ein Publikum, dann kribbelt es ihn ordentlich, und je feiner das Publikum ist, desto mehr. Er hat mich schon oft in Verlegenheit gebracht. Ich muß sagen, ich hab’ ihn sehr gern, aber gesellschaftlich ist ihm Rex doch sehr überlegen.«

»Ja, Rex; natürlich. Das hab’ ich auch gleich bemerkt, ohne mir weiter Rechenschaft darüber zu geben. Du wirst es aber wissen, wodurch er ihm überlegen ist.«

»Durch vieles. Erstens, wenn man die Familien abwägt. Rex ist mehr als Czako. Und dann ist Rex Kavalle­rist.«

»Aber ich denke, er ist Ministerialassessor.«

»Ja, das ist er auch. Aber nebenher, oder vielleicht noch darüber hinaus, ist er Offizier, und sogar in unsrer Dragonerbrigade.«

»Das freut mich; da ist er ja so gut wie ein Spezialkamerad von dir.«

»Ich kann das zugeben und doch auch wieder nicht. Denn erstens ist er in der Reserve, und zweitens steht er bei den zweiten Dragonern.«

»Macht das ’nen Unterschied?«

»Gott, Tante, wie man’s nehmen will. Ja und nein. Bei Mars-la-Tour haben wir dieselbe Attacke geritten.«

»Und doch ...«

»Und doch ist da ein gewisses Je ne sais quoi.«

»Sage nichts Französisches. Das verdrießt mich immer. Manche sagen jetzt auch Englisches, was mir noch weniger gefällt. Aber lassen wir das; ich finde nur, es wäre doch schrecklich, wenn es so bloß nach der Zahl ginge. Was sollte denn da das Regiment anfangen, bei dem ein Bruder unsrer guten Schmargendorf steht? Es ist, glaube ich, das hundertfünfundvierzigste.«

»Ja, wenn es so hoch kommt, dann vertut es sich wieder. Aber so bei der Garde ...«

Die Domina schüttelte den Kopf. »Darin, mein lieber Woldemar, kann ich dir doch kaum folgen. Unser Fix sagt mitunter, ich sei zu exklusiv, aber so exklusiv bin ich doch noch lange nicht. Und solch Verstandesmensch, wie du bist, so ruhig und dabei so ›abgeklärt‹, wie manche jetzt sagen, und, Gott verzeih mir die Sünde, auch so liberal, worüber selbst dein Vater klagt. Und nun kommst du mir mit solchem Vorurteil, ja, verzeih mir das Wort, mit solchen Überheblichkeiten. Ich erkenne dich darin gar nicht wieder. Und wenn ich nun das erste Garderegiment nehme, das ist ja doch auch ein erstes. Ist es denn mehr als das zweite? Man kann ja sagen, so viel will ich zugeben, sie haben die Blechmützen und sehen aus, als ob sie lauter Holländerinnen heiraten wollten ... Was ihnen schon gefallen sollte.«

»Den Holländerinnen?«

»Nun, denen auch«, lachte die Tante. »Aber ich meinte jetzt unsre Leute. Mißversteh mich übrigens nicht.

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