Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 70)

Herrn von Stechlin (ich persönlich getraue mich’s nicht), daß wir in einer halben Stunde fort müssen, Opernhaus, ›Tristan und lsolde‹. Was sagen Sie dazu? Nicht zu Tristan und lsolde, nein, zu der heikleren Frage, daß wir eben gehen, im selben Augenblick, wo Sie kommen. Denn ich seh’ es Ihnen an, Sie kamen nicht so bloß um ›five o’clock tea’s‹ willen, Sie hatten es besser mit uns vor. Sie wollten bleiben ...«

»Ich bekenne ...«

»Also getroffen. Und zum Zeichen, daß Sie großmütig sind und Verzeihung üben, versprechen Sie, daß wir Sie bald wiedersehen, recht, recht bald. Ihr Wort darauf. Und dem Papa, der Sie vielleicht erwartet, wenn es Jeserich für gut befunden hat, die Meldung auszurichten, – dem Papa werd’ ich sagen, Sie hätten nicht bleiben können, eine Verabredung, Klub oder sonst was.«

Während Woldemar nach diesem abschließenden Gespräch mit Melusine die Treppe hinabstieg und auf den nächsten Droschkenstand zuschritt, saß der alte Graf in seinem Zimmer und sah, den rechten Fuß auf einen Stuhl gelehnt, durch das Balkonfenster auf den Abendhimmel. Er liebte diese Dämmerstunde, drin er sich nicht gerne stören ließ (am wenigsten gern durch vorzeitig gebrachtes Licht), und als Jeserich, der das alles wußte, jetzt eintrat, war es nicht, um dem alten Grafen die Lampe zu bringen, sondern nur um ein paar Kohlen aufzuschütten.

»Wer war denn da, Jeserich?«

»Der Herr Rittmeister.«

»So, so. Schade, daß er nicht geblieben ist. Aber freilich, was soll er mit mir? Und der Fuß und die Schmer­zen, dadurch wird man auch nicht interessanter. Armgard und nun gar erst Melusine, ja, da geht es, da redet sich’s schon besser, und das wird der Rittmeister wohl auch finden. Aber soviel ist richtig, ich spreche gern mit ihm; er hat so was Ruhiges und Gesetztes und immer schlicht und natürlich. Meinst du nicht auch?«

Jeserich nickte.

»Und glaubst du nicht auch (denn warum käme er sonst so oft), daß er was vorhat?«

»Glaub’ ich auch, Herr Graf.«

»Na, was glaubst du?«

»Gott, Herr Graf ...«

»Ja, Jeserich, du willst nicht raus mit der Sprache. Das hilft dir aber nichts. Wie denkst du dir die Sache?«

Jeserich schmunzelte, schwieg aber weiter, weshalb dem alten Grafen nichts übrig blieb, als seinerseits fortzufahren. »Natürlich paßt Armgard besser, weil sie jung ist; es ist so mehr das richtige Verhältnis, und überhaupt, Arm­gard ist sozusagen dran. Aber, weiß der Teufel, Melusine ...«

»Freilich, Herr Graf.«

»Also du hast doch auch so was gesehen. Alles dreht sich immer um die. Wie denkst du dir nun den Rittmeister? Und wie denkst du dir die Damen? Und wie steht es überhaupt? Ist es die oder ist es die?«

»Ja, Herr Graf, wie soll ich darüber denken? Mit Damen weiß man ja nie – vornehm und nicht vornehm, klein und groß, arm und reich, das is all eins. Mit unsrer Lizzi is es gerad ebenso wie mit Gräfin Melusine. Wenn man denkt, es is so, denn is es so, und wenn man denkt, es is so, denn is es wieder so. Wie meine Frau noch lebte, Gott habe sie selig, die sagte auch immer: ›Ja, Jeserich, was du dir

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