Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 71)
bloß denkst; wir sind eben ein Rätsel.‹ Ach Gott, sie war ja man einfach, aber das können Sie mir glauben, Herr Graf, so sind sie alle.«
»Hast ganz recht, Jeserich. Und deshalb können wir auch nicht gegen an. Und ich freue mich, daß du das auch so scharf aufgefaßt hast. Du bist überhaupt ein Menschenkenner. Wo du’s bloß her hast? Du hast so was von ’nem Philosophen. Hast du schon mal einen gesehen?«
»Nein, Herr Graf. Wenn man so viel zu tun hat und immer Silber putzen muß.«
»Ja, Jeserich das hilft doch nu nich, davon kann ich dich nicht freimachen ...«
»Nein, so mein’ ich es ja auch nich, Herr Graf, und ich bin ja auch fürs Alte. Gute Herrschaft und immer denken, ›man gehört so halb wie mit dazu‹ – dafür bin ich. Und manche sollen ja auch halb mit dazu gehören ... Aber ein bißchen anstrengend is es doch mitunter, und man is doch am Ende auch ein Mensch ...«
»Na, höre, Jeserich, das hab’ ich dir doch noch nicht abgesprochen.«
»Nein, nein, Herr Graf. Gott, man sagt so was bloß. Aber ein bißchen is es doch damit ...«
Zwöftes Kapitel
Woldemar – wie Rex seinem Freunde Czako, als beide über den Cremmer Damm ritten, ganz richtig mitgeteilt hatte – verkehrte seit Ausgang des Winters im Barbyschen Hause, das er sehr bald vor andern Häusern seiner Bekanntschaft bevorzugte. Vieles war es, was ihn da fesselte, voran die beiden Damen; aber auch der alte Graf. Er fand Ähnlichkeiten, selbst in der äußern Erscheinung, zwischen dem Grafen und seinem Papa, und in seinem Tagebuche, das er, trotz sonstiger Modernität, in altmodischer Weise von jung an führte, hatte er sich gleich am ersten Abend über eine gewisse Verwandtschaft zwischen den beiden geäußert. Es hieß da unterm 18. April: »Ich kann Wedel nicht dankbar genug sein, mich bei den Barbys eingeführt zu haben; alles, was er von dem Hause gesagt, fand ich bestätigt. Diese Gräfin, wie charmant, und die Schwester ebenso, trotzdem größere Gegensätze kaum denkbar sind. An der einen alles Temperament und Anmut, an der andern alles Charakter oder, wenn das zuviel gesagt sein sollte, Schlichtheit, Festigkeit. Es bleibt mit den Namen doch eine eigene Sache; die Gräfin ist ganz Melusine und die Komtesse ganz Armgard. Ich habe bis jetzt freilich nur eine dieses Namens kennengelernt, noch dazu bloß als Bühnenfigur, und ich mußte beständig an diese denken, wie sie da (ich glaube, es war Fräulein Stolberg, die ja auch das Maß hat) dem Landvogt so mutig in den Zügel fällt. Ganz so wirkt Komtesse Armgard! Ich möchte beinah sagen, es läßt sich an ihr wahrnehmen, daß ihre Mutter eine richtige Schweizerin war. Und dazu der alte Graf! Wie ein Zwillingsbruder von Papa; derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen, dieselbe Freundlichkeit, dieselbe gute Laune. Papa ist aber ausgiebiger und auch wohl origineller. Vielleicht hat der verschiedene Lebensgang diese Verschiedenheiten erst geschaffen. Papa sitzt nun seit richtigen dreißig Jahren in seinem Ruppiner Winkel fest, der Graf war ebensolange draußen! Ein Botschaftsrat ist eben was anderes als ein Ritterschaftsrat, und an