Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 73)

gezeigt, vielmehr nur die Bemerkung dafür gehabt: »Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich dabei denkst? Ein Tag ist wie der andre; mal muß man ran« – worauf die Frau jedoch geantwortet hatte: »Ja Hartwig, das sagst du so immer; aber wenn du dran bist, dann redst du anders.«

Der verstorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn ankam, ein Leben hinter sich, das sich in zwei sehr verschiedene Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und in eine ganz große, teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein Ziegelstreichersohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorfe Kaputt, was er, als er aus dem diesem Dorfnamen entsprechenden Zustande heraus war, in Gesellschaft guter Freunde gern hervorhob. Es war so ziemlich der einzige Witz seines Lebens, an dem er aber zäh festhielt, weil er sah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen so weit, ihm den Witz auch noch moralisch gutzuschreiben, und behaupteten: Schickedanz sei nicht bloß ein Charakter, sondern auch eine bescheidene Natur.

Ob dies zutraf, wer will es sagen! Aber das war sicher, daß er sich von Anfang an als ein aufgeweckter Junge gezeigt hatte. Schon mit sechzehn war er als Hilfsschreiber in die deutsch-englische Hagelversicherungsgesellschaft Pluvius eingetreten und hatte mit sechsundsechzig sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in eben dieser Gesellschaft gefeiert. Das war aus bestimmten Gründen ein großer Tag gewesen. Denn als Schickedanz ihn erlebte, hieß er nur noch so ganz obenhin »Herr Versicherungssekretär«, war aber in Wahrheit über diesen seinen Titel weit hinausgewachsen und besaß bereits das schöne Haus am Kronprinzenufer. Er hatte sich das leisten können, weil er im Laufe der letzten fünf Jahre zweimal hintereinander ein Viertel vom großen Lose gewonnen hatte. Dies sah er sich allerseits als persönliches Verdienst angerechnet, und auch wohl mit Recht. Denn arbeiten kann jeder, das große Los gewinnen kann nicht jeder. Und so blieb er denn bei der Versicherungsgesellschaft lediglich nur noch als verhätscheltes Zierstück, weil es damals wie jetzt einen guten Eindruck machte, Personen der Art im Dienst oder gar als Teilnehmer zu haben. An der Spitze muß immer ein Fürst stehen. Und Schickedanz war jetzt Fürst. Alles drängte sich nicht bloß an ihn, sondern seine Stammtischfreunde, die zu seiner zweimal bewährten Glückshand ein unbedingtes Vertrauen hatten, drangen sogar eine Zeitlang in ihn, die Lotterielose für sie zu ziehen. Aber keiner gewann, was schließlich einen Umschlag schuf und einzelne von »bösem Blick« und sogar ganz unsinnigerweise von Mogelei sprechen ließ. Die meisten indessen hielten es für klug, ihr Übelwollen zurückzuhalten; war er doch immerhin ein Mann, der jedem, wenn er wollte, Deckung und Stütze geben konnte. Ja, Schickedanz’ Glück und Ansehen waren groß, am größten natürlich an seinem Jubiläumstage. Nicht zu glauben, wer da alles kam. Nur ein Orden kam nicht, was denn auch von einigen Schickedanzfanatikern sehr mißliebig bemerkt wurde. Besonders schmerzlich empfand es die Frau. »Gott, er hat doch immer so treu gewählt«, sagte sie. Sie kam aber nicht in die Lage, sich in diesen Schmerz einzuleben, da schon die nächsten Zeiten bestimmt waren, ihr

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