Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 74)

Schwereres zu bringen. Am 21. September war das Jubiläum gewesen, am 21. Oktober erkrankte er, am 21. Dezember starb er. Auf dem Notizenzettel, den man damals dem Kandidaten zugestellt hatte, hatte dieser dreimal wiederkehrende »Einundzwanzigste« gefehlt, was alles in allem wohl als ein Glück angesehen werden konnte, weil, entgegengesetztenfalls, die »drei Tage vor Weihnachten« entweder gar nicht zustande gekommen oder aber durch eine geteilte Herrschaft in ihrer Wirkung abgeschwächt worden wären.

Schickedanz war bei voller Besinnung gestorben. Er rief, kurz vor seinem Ende, seine Frau an sein Bett und sagte: »Riekchen, sei ruhig. Jeder muß. Ein Testament hab’ ich nicht gemacht. Es gibt doch bloß immer Zank und Streit. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Briefbogen, drauf hab’ ich alles Nötige geschrieben. Viel wichtiger ist mir das mit dem Haus. Du mußt es behalten, damit die Leute sagen können: ›Da wohnt Frau Schicke­danz.‹ Hausname, Straßenname, das ist überhaupt das Beste. Straßenname dauert noch länger als Denkmal.«

»Gott, Schickedanz, sprich nicht so viel; es strengt dich an. Ich will es ja alles heilig halten, schon aus Liebe ...«

»Das ist recht, Riekchen. Ja, du warst immer eine gute Frau, wenn wir auch keine Nachfolge gehabt haben. Aber darum bitte ich dich, vergiß nie, daß es meine Puppe war. Du darfst bloß vornehme Leute nehmen; reiche Leute, die bloß reich sind, nimm nicht; die quengeln bloß und schlagen große Haken in die Türfüllung und hängen eine Schaukel dran. Überhaupt, wenn es sein kann, keine Kinder. Hartwigen unten mußt du behalten; er ist eigentlich ein Klugschmus, aber die Frau ist gut. Und der kleine Rudolf, mein Patenkind, wenn er ein Jahr alt wird, soll er hundert Taler kriegen. Taler, nicht Mark. Und der Schullehrer in Kaputt soll auch hundert Taler kriegen. Der wird sich wundern. Aber darauf freu’ ich mich schon. Und auf dem Invalidenkirchhof will ich begraben sein, wenn es irgend geht. Invalide ist ja doch eigentlich jeder. Und Anno siebzig war ich doch auch mit Liebesgaben bis dicht an den Feind, trotzdem Luchterhand immer sagte: ›Nicht so nah ran.‹ Sei freundlich gegen die Leute und nicht zu sparsam (du bist ein bißchen zu sparsam), und bewahre mir einen Platz in deinem Herzen. Denn treu warst du, das sagt mir eine innere Stimme.«

Diesem allem hatte Riekchen seitdem gelebt. Die Bel­etage, die leer stand, als Schickedanz starb, blieb noch dreiviertel Jahre unbewohnt, trotzdem sich viele Herrschaften meldeten. Aber sie deckten sich nicht mit der Forderung, die Schickedanz vor seinem Hinscheiden gestellt hatte. Herbst fünfundachtzig kamen dann die Barbys. Die kleine Frau sah gleich, »ja, das sind die, die mein Seliger gemeint hat«. Und sie hatte wirklich richtig gewählt. In den fast zehn Jahren, die seitdem verflossen waren, war es auch nicht ein einziges Mal zu Konflikten gekommen, mit der gräflichen Familie schon gewiß nicht, aber auch kaum mit den Dienerschaften. Ein persönlicher Verkehr zwischen Erdgeschoß und Beletage konnte natürlich nicht stattfinden – Hartwig war einfach der alter ego, der mit Jeserich alles Nötige durchzusprechen hatte. Kam es aber ausnahmsweise zwischen Wirtin und Mieter zu irgendeiner Begegnung, so bewahrte

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