Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 76)

alle Ursache, mit dem Schickedanzschen Hause zufrieden zu sein. Nur eines störte, das war, daß jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, wo der alte Graf seine Nachmittagsruhe halten wollte. Das verdroß ihn eine Weile, bis er schließlich zu dem Ergebnis kam: »Eigentlich bin ich doch selber schuld daran. Warum setz’ ich mich immer wieder in die Hinterstube, statt einfach vorn an mein Fenster? Immer hasardier’ ich wieder und denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; willst es doch noch mal versuchen.«

Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung zu haben, er hielt auch beinah abergläubisch an ihr fest. Solange er darin wohnte, war es ihm gut ergangen, nicht glänzender als früher, aber sorgenloser. Und das sagte er sich jeden neuen Tag.

Sein Leben, so bunt es gewesen, war trotzdem in gewissem Sinne durchschnittsmäßig verlaufen, ganz so wie das Leben eines preußischen »Magnaten« (worunter man in der Regel Schlesier versteht; aber es gibt doch auch andre) zu verlaufen pflegt.

Im Juli dreißig, gerade als die Franzosen Algier bombardierten und nebenher das Haus Bourbon endgültig beseitigten, war der Graf auf einem der an der mittleren Elbe gelegenen Barbyschen Güter geboren worden. Auf eben diesem Gute – das landwirtschaftlich einer von fremder Hand geführten Administration unterstand – vergingen ihm die Kinderjahre; mit zwölf kam er dann auf die Ritterakademie, mit achtzehn in das Regiment Garde-du-Corps, drin die Barbys standen, solang es ein Regiment Garde-du-Corps gab. Mit dreißig war er Rittmeister und führte eine Schwadron. Aber nicht lange mehr. Auf einem in der Nähe von Potsdam veranstalteten Kavalleriemanöver stürzte er unglücklich und brach den Oberschenkel, unmittelbar unter der Hüfte. Leidlich genesen, ging er nach Ragaz, um dort völlige Wiederherstellung zu suchen, und machte hier die Bekanntschaft eines alten Freiherrn von Planta, der ihn alsbald auf seine Besitzungen einlud. Weil diese ganz in der Nähe lagen, nahm er die Einladung nach Schloß Schuder an. Hier blieb er länger als erwartet, und als er das schön gelegene Bergschloß wieder verließ, war er mit der Tochter und Erbin des Hauses verlobt. Es war eine große Neigung, was sie zusammenführte. Die junge Freiin drang alsbald in ihn, den Dienst zu quittieren, und er entsprach dem um so lieber, als er seiner völligen Wiederherstellung nicht ganz sicher war. Er nahm also den Abschied und trat aus dem militärischen in den di­plo­matischen Dienst über, wozu seine Bildung, sein Vermögen, seine gesellschaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erscheinen ließen. Noch im selben Jahre ging er nach London, erst als Attaché, wurde dann Botschaftsrat und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage der Aufrichtung des Deutschen Reiches. Seine Beziehungen sowohl zu der heimisch-englischen wie zu der außerenglischen Aristokratie waren jederzeit die besten, und sein Freundschaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtesgaden entstammte jener Zeit. Er hing sehr an London. Das englische Leben, an dem er manches, vor allem die geschraubte Kirchlichkeit, beanstandete, war ihm trotzdem außerordentlich sympathisch, und er hatte sich daran gewöhnt, sich als verwachsen damit anzusehen. Auch seine Familie, die Frau und die zwei

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