Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 77)
Töchter – beide, wenn auch in großem Abstande, während der Londoner Tage geboren – teilten des Vaters Vorliebe für England und englisches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau starb plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm so lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er nahm in der ersten Hälfte der achtziger Jahre seine Demission, ging zunächst auf die Plantaschen Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden, um sich in Florenz seßhaft zu machen. Die Luft, die Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles tat ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genas, soweit er wieder genesen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und sein Glück schien sich noch steigern zu sollen, als sich die ältere Tochter mit dem italienischen Grafen Ghiberti verlobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieser Ehe stellte sich bald als eine Unmöglichkeit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgesprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach Deutschland zurück, das er, seit einem Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen hatte. Sich auf das eine oder andere seiner Elbgüter zu begeben, widerstand ihm auch jetzt noch, und so kam es, daß er sich für Berlin entschied. Er nahm Wohnung am Kronprinzenufer und lebte hier ganz sich, seinem Hause, seinen Töchtern. Von dem Verkehr mit der großen Welt hielt er sich soweit wie möglich fern, und nur ein kleiner Kreis von Freunden, darunter auch die durch einen glücklichen Zufall ebenfalls von London nach Berlin verschlagenen Berchtesgadens waren, versammelte sich um ihn. Außer diesen alten Freunden waren es vorzugsweise Hofprediger Frommel, Doktor Wrschowitz und seit letztem Frühjahr auch Rittmeister von Stechlin, die den Barbyschen Kreis bildeten. An Woldemar hatte man sich rasch attachiert, und die freundlichen Gefühle, denen er bei dem alten Grafen sowohl wie bei den Töchtern begegnete, wurden von allen Hausbewohnern geteilt. Selbst die Hartwigs interessierten sich für den Rittmeister, und wenn er abends an der Portierloge vorüberkam, guckte Hedwig neugierig durch das Fensterchen und sagte: »So einen, – ja, das lass’ ich mir gefallen.«
Dreizehntes Kapitel
Woldemar, als er sich von den jungen Damen im Barbyschen Hause verabschiedet hatte, hatte versprechen müssen, seinen Besuch recht bald zu wiederholen.
Aber was war »recht bald«? Er rechnete hin und her und fand, daß der dritte Tag dem etwa entsprechen würde; das war »recht bald« und doch auch wieder nicht zu früh. Und so ging er denn, als der Abend dieses dritten Tages da war, auf die Hallesche Brücke zu, wartete hier die Ringbahn ab und fuhr, am Potsdamer und Brandenburger Tor vorüber, bis an jene sonderbare Reichstagsuferstelle, wo, von mächtiger Giebelwand herab, ein wohl zwanzig Fuß hohes, riesiges Kaffeemädchen mit einem ganz kleinen Häubchen auf dem Kopf freundlich auf die Welt der Vorübereilenden herniederblickt, um ihnen ein Paket Kneippschen Malzkaffee zu präsentieren. An dieser echt berlinisch-pittoresken Ecke stieg Woldemar ab, um die von hier aus nur noch kurze Strecke bis an das Kronprinzenufer zu Fuß zurückzulegen.
Es war gegen acht, als er in dem Barbyschen Hause