Ungekürztes Werk "Der Stechlin" von Theodor Fontane (Seite 97)
auch Personen geben, die ganz dafür leben und ihr Vermögen hinopfern wie früher die Holländer für die Tulpen. Tulpen wäre nun freilich nicht mein Geschmack! Aber Feuerwerk!«
»Ja, unbedingt. Und nur schade, daß alle die, die damit zu tun haben, über kurz oder lang in die Luft fliegen.«
»Das ist fatal. Aber es steigert andrerseits doch auch wieder den Reiz. Sonderbar, gefahrlose Berufe, solche, die sozusagen eine Zipfelmütze tragen, sind mir von jeher ein Greuel gewesen. Interesse hat doch immer nur das Vabanque: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere, Luftballons. Ich denke mir, das Nächste, was wir erleben, sind Luftschifferschlachten. Wenn dann so eine Gondel die andre entert. Ich kann mich in solche Vorstellungen geradezu verlieben.«
»Ja, liebe Melusine, das seh’ ich«, unterbrach hier die Baronin. »Sie verlieben sich in solche Vorstellungen und vergessen darüber die Wirklichkeiten und sogar unser Programm. Ich muß angesichts dieser doch erst kommenden Luftschifferschlachten ganz ergebenst daran erinnern, daß für heute noch wer anders in der Luft schwebt, und zwar Pastor Lorenzen. Von dem sollte die Rede sein. Freilich, der ist kein Pyrotechniker.«
»Nein«, lachte Woldemar, »das ist er nicht. Aber als einen Aeronauten kann ich ihn beinahe vorstellen. Er ist so recht ein Excelsior–, ein Aufsteigemensch, einer aus der wirklichen Obersphäre, genau von daher, wo alles Hohe zu Haus ist, die Hoffnung und sogar die Liebe.«
»Ja«, lachte die Baronin, »die Hoffnung und sogar die Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Da müssen’s zu uns kommen. Wir haben noch das Dritte; das heißt also, wir wissen auch, was wir glauben sollen.«
»Ja, sollen.«
»Sollen, gewiß. Sollen, das ist die Hauptsache. Wenn man weiß, was man soll, so find’t sich’s schon. Aber wo das Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es ist halt a Glück, daß wir Rom haben und den Heiligen Vater.«
»Ach«, sagte Melusine, »wer’s Ihnen glaubt, Baronin! Aber lassen wir so heikle Fragen und hören wir lieber von dem, den ich – ich bin beschämt darüber – in so wenig verbindlicher Weise vergessen konnte, von unserm Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulenheiligen, der reinen Herzens ist, und vor allem von dem Schöpfer und geistigen Nährvater unsers Freundes Stechlin. Eh bien, was ist es mit ihm? ›An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen‹ – das könnt’ uns beinahe genügen. Aber ich bin doch für ein Weiteres. Und so denn: attention au jeu. Unser Freund Stechlin hat das Wort.«
»Ja, unser Freund Stechlin hat das Wort«, wiederholte Woldemar, »so sagen Sie gütigst, Frau Gräfin. Aber dem nachkommen ist nicht so leicht. Vorhin, da war ich im Zuge. Jetzt wieder damit anfangen, das hat seine Schwierigkeiten. Und dann erwarten die Damen immer eine Liebesgeschichte, selbst wenn es sich um einen Mann handelt, den ich, was diese Dinge betrifft, so wenig versprechend eingeführt habe. Sie gehen also, wie heute schon mehrfach (ich erinnere nur an das Eierhäuschen) einer grausamen Enttäuschung entgegen.«
»Keine Ausflüchte!«
»Nun, so sei’s denn. Ich muß es aber auf einem Umwege versuchen und Ihnen bei der Gelegenheit als Nächstes schildern, wie meine letzte Begegnung mit Lorenzen verlief. Er war, als ich bei ihm