Interpretation "Irrungen, Wirrungen" von Theodor Fontane (Seite 4)

Und schließlich enttäuscht er seinen Freund Rexin, der sich an ihn wendet, weil er in Bothos früherer Beziehung zu Lene einen Unterschied zu den sonst üblichen Liebschaften vermutet. Doch Botho offenbart in seinem 'Ratschlag' ("so beschwör’ ich Sie denn, bleiben Sie davon") den Grad seiner Identifizierung mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung und entwertet damit nachträglich sein Verhältnis zu Lene.

Am Rande sei noch bemerkt, dass der Text sogar die angeblich zur Heirat zwingende finanzielle Notlage relativiert. "Er hat 9000 jährlich und gibt 12000 aus", wird über Botho kommentiert – offensichtlich hätte schon eine weniger ausschweifende Lebensführung ihn vom unmittelbaren Druck, sich zu verehlichen, befreien können.

Irrungen, Wirrungen erzählt nicht die Geschichte eines Menschen, den die Gesellschaft an seinem persönlichen Glück hindert, weil Botho sich viel zu sehr mit deren Wertvorstellungen identifiziert und sich um keine wirkliche Alternative bemüht. Dennoch unterscheidet er sich von den meisten seiner Standesgenossen, indem er ein klares Bewusstsein für die Oberflächlichkeit und Unnatürlichkeit dieser Lebensform entwickelt hat. Die Kluft zwischen Realität und Ideal bleibt aber für ihn unüberbrückbar; dadurch ist er zu einer – auch nach seinem Selbstverständnis – wahrhaftigen Liebe nicht fähig. Für eine kurze Zeitspanne kann er mit Lene zumindest seine Sehnsucht danach ausleben; zu tiefgehenderen Einsichten oder gar Konsequenzen daraus gelangt Premierlieutenant im Kaiser-Kürassier-Regiment Botho Freiherr von Rienäcker allerdings nicht.

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